Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
Csilla Markója: „Die Entfernung zwischen einem erhabenen und einem abscheulichen Gesicht". Über die außergewöhnliche Kunst des László Mednyánszky
20 László Mednyánszky: Erfroren... ? Skizze zu dem Gemälde Episode (Szolnok, János-DamjanichMuseum, Inv.-Nr.: 228-72) te" noch eine „unbestimmte" nationale Identität hatte. Er entstammte einer ungarischen Aristokratenfamilie, seine Muttersprache war ungarisch. Seine eigene Schwester hingegen beherrschte nicht einmal das Ungarisch fehlerlos, wie wir an den mangelhaften Formulierungen und den Rechtschreibfehlern in ihren Erinnerungen erkennen oder auch an der Tatsache, dass die Briefe an ihren Bruder in deutscher Sprache abgefasst sind. Die Konservationssprache auf Schloss Nehre dürfte Deutsch oder Französisch gewesen sein. Den Kammerdiener und die Erzieherin ließ die Familie aus Polen kommen, vielleicht wegen der ursprünglich polnischen Herkunft der Mednyánszkys oder aus Sympathie mit den 48ern. Der Nationalismus des familiären Umfelds von Mednyánszky nährte sich vor allem aus ihren antiösterreichischen Gefühlen (der Bruder des Vaters war von den Österreichern erhängt worden), doch dürfen wir auch ihre Haltung gegenüber den panslawischen Bewegungen nicht unberücksichtigt lassen. Miri schreibt in ihren Memoiren über Mednyánszkys Beteiligung an antipanslawischen Strömungen: „László begründete einmal eine Gesellschaft mit patriotischen Zielen. In den 70er Jahren gab es hier in Oberungarn schon eine gewisse Untergrundtätigkeit der Nationalitäten. Mit Geld und Bestechung. Die offiziellen Kreise wollten es nicht wahr haben oder waren aus anderen Gründen machtlos. László glaubte, dass nur eine Gegenaktion wirksam Abhilfe schaffen könnte. In dieser Arbeit unterstützte ihn der Abgeordnete Béla Grünwald. 85 Er fuhr in der Angelegenheit viel umher, brachte vor allem in Pressburg eine Aktion auf den Weg, wo protestantische Geistliche ausgebildet wurden. Überhaupt bemühte er sich, vor allem unter der Jugend zu wirken, und mit Erfolg, in kurzer Zeit hatte die Vereinigung ein paar Tausend Mitglieder." 86 Auch der Entwurf der Gründungsurkunde des Vereins gegen die panslawischen Bewegungen stammt aus Mednyánszkys Feder und ist uns überliefert. 87 Obwohl Mednyánszky mit der Zeit seine naiv-utopistischen Vereinspläne aufgab und sie selbst als Luftschlösser bezeichnete, formulierte er noch in den neunziger Jahren, als er schon fast vierzig war, in Zusammenhang mit einem anderen patriotischen Verein, den er nunmehr gemeinsam mit Gyula Pékár gründen wollte: „Mitglied kann jeder christliche Landsmann sein. Wohltätigkeit und Entfaltung des Idealismus. Gegenseitiger Interessenverband zugunsten anderer. Die ungarische Rasse, die berufen ist, durch die Erweckung eines neuen Frühlings die anderen zu einem schönen gemeinsamen Ideal zu führen." 88 Mednyánszkys nationale Gesinnung sollte, ebenso wie die Malonyays, nur als historisches Faktum, in historischer Sicht untersucht werden. Derselbe Mednyánszky, der vor oberungarischem Hintergrund als „wilder Nationalist" erscheint, ist im Spiegel des Antisemitismus, der Wolfner und in gewissem Sinne auch ihn als Schützling Wolfners traf, ein „Fremder", dessen Ungartum, wenn nicht anders, so mit Hilfe der Ungarischen Tiefebene unter Beweis gestellt werden muss. Die Erwähnung der Ungarischen Tiefebene in Verbindung mit Mednyánszkys Malerei erfüllte teils die gleiche Aufgabe, wie der mit der ungarischen Königskrone geschmückte Leuchter im Buchladen von József Wolfner in der Budapester Andrassystraße. Malonyays Auffassung von der nationalen Kunstgeschichte 89 muss im Kontext des modischen Evolutionismus jener Zeit und der historischen Situation bewertet werden, wozu der Wunsch der Ungarn nach Unabhängigkeit von den Österreichern ebenso dazu gehört, wie der Wunsch der Slowaken nach Unabhängigkeit von den Ungarn. Im Bermuda-Dreieck dieses historischen Unrechts blieb das Lebenswerk Mednyánszkys lange Zeit verschollen, und zwar nicht nur für die Ungarn und die Slowaken, sondern auch für die Österreicher. Dabei liegt die Lösung, wie auch die Slowaken oder die Österreicher Mednyánszky in Besitz nehmen könnten, auf der Hand. Jan Abelovsky hat sie uns schließlich aufgezeigt. Es ist zwar ein wenig übertrieben, den Begriff Nation nicht mit der Sprachgemeinschaft, sondern mit der politischen und historischen Gemeinschaft zu definieren. Doch der Ansicht, dass Mednyánszky gemeinsames Eigentum einer Region, sozusagen unserer gemeinsamen Geschichte ist, können wir auf jeden Fall zustimmen. Die Separierung einer selbständigen künstlerischen Region Oberungarn bedarf unserer Meinung nach hingegen noch der Untermauerung durch weitere kunsthistorische Argumente. Denn auch die Wiener poetischen Realisten / Stimmungsrealisten werden gewöhnlich aufgrund einer bestimmten metaphysischen Sensibilität von der Malerei in Barbizon unterschieden. Derzeit habe ich den Eindruck, dass Mednyánszkys speziell mitteleuropäischer, in der Monarchie angesiedelter symbolistischer Humanismus metaphysischer Prägung im gleichen Maße über den poetischen Realismus / Stimmungsrealismus der Wiener oder ungarischen Zeitgenossen „hinausgeht" wie über jene oberungarischen Maler, die Jan Abelovsky analysiert. Aber das sollte Gegenstand einer weiteren Diskussion sein. Schlussbetrachtung Die Zeichnungen und Skizzen Mednyánszkys bringen nicht mehr und nicht weniger zum Ausdruck, als dass die gegensätzlichen Interpretationen ein und desselben Gebildes auch gleichzeitig, nebeneinander existieren können. Es gibt keine Form, deren Inhalt nicht eine Frage der Interpretation wäre. Mit diesem Gedanken ging Mednyánszky über die Pleinair-Schule und die progressive Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hinaus, übertraf in gewissem Sinne sogar die moderne Kunst. Die feste Absicht, unter wiederholter Verwendung bestimmter formaler Motive und Gebilde das Spiel der Energien und Kräfte komprimierter zum Ausdruck zu bringen, ohne dabei auf Wirklichkeitstreue und die Malerei von Barbizon bzw. die in Wien gefilterte Tradition der holländischen Landschaftsmalerei zu verzichten, führte Mednyánszky zu verschiedenen kompositorischen Entdeckungen. Er lernte monumental zu malen und näherte sich bei der monumentalen Malerei immer mehr seinem malerischen Ideal, der zusammenfassenden, breiten, „alla prima" Malweise. Die erste Entdeckung auf dem Wege zur monu-