Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)

Csilla Markója: „Die Entfernung zwischen einem erhabenen und einem abscheulichen Gesicht". Über die außergewöhnliche Kunst des László Mednyánszky

17 László Mednyánszky: Dämmerung zwischen den Bäumen, Öl auf Leinwand, 28,5 X 36,5 cm (Privatbesitz, Repr. Kieselbach Galerie, Winterauktion 2001, Pos. 18) der figürlichen Bilder, „dieser Sammlung von Ungeheuern" würdigt, so malerische Verdienste wie die „breite, große und einfache Kompaktheit" hervorhebt und feststellt, dass diese Werke von monumentaler Auffassung „unbedingt neue Typen in unserer Kunst" sind, kann er doch nicht schnell genug zu den freundlichen Landschaftsbildern des Malers zurückkehren und die Lajos Fülep zu verdankende Bemerkung festhalten, dass „Mednyánszkys Landschaftsbilder also keine Aufnahmen, keine Urkunden und keine Veduten sind, sondern subjektive Eindrücke des Malers von etwas Umfassenden in der Natur [...] Seelische Selbstbildnisse." 73 Fast gleichzeitig, d. h. genau einen Monat nach Lykas Artikel, schrieb Lajos Fülep bereits: „Mednyánszky ist kein bloßer Landschaftsmaler [...] Vielleicht haben Rembrandts Selbstbildnisse eine gewisse Gemeinsamkeit mit Mednyánszkys Landschaftsbildern, die ebenfalls Selbstbildnisse sind." 74 Auf die semantische Bipolarität einzelner Werke Mednyánszkys, d. h. auf ihre Eigenschaft, von der Bedeutung her, im Kraftfeld zwischen zwei Polen schwebend, unbestimmt zu bleiben, stoßen wir vor allem, wenn wir das Thema eines Spätwerks ergründen wollen. Mihály Sarkantyú (der 1981 in einer großangelegten, doch leider unvoll­endet gebliebenen Skizze den Versuch unternahm, Mednyánszkys Schaffen nach neuen Gesichtspunkten zu bewer­ten) gibt zum Beispiel von einem rätselhaften Werk des Malers folgende Interpretation: „Auf dem Bild Episode (Nächtliche Streife, Abb. 19) werden die Folgen des Weltkriegs der Vergangenheit' der Landstreicherbilder gegen­übergestellt. In der nächtlichen Szene, die in dunklen, blaugrünen Tönen gehalten ist, beugen sich zwei Gestalten in schneeweißem Kittel über einen auf der Bank schlummernden Landstreicher. Die zwei im gespenstigen Dunkel fluoreszierenden Gestalten erscheinen flüchtig und gewalttätig zugleich. Die Bewegung des Herunterbeugens könnte auch die einer Hand mit gezogener Waffe sein. Wir werden vor eine vollendete Tatsache gestellt: potentielle Mächtige und ihr Opfer. [ ... ] In das ohnehin aussichtslose Leben der Landstreicher tritt hier die Geschichte als ,fremde Macht', um ihr Schicksal als eine Art neues Dämonium zu vollenden." 75 Betrachten wir jedoch das Bild etwas aufmerksamer, sind wir bei der Bestimmung von Geschlecht und Person der Kapuzengestalten nicht mehr so sicher. Und die Unsicherheit nimmt zu, wenn wir im Skizzenheft auf eine Skizze zu dem Werk stoßen, die der Maler selbst mit Erfroren ... ? betitelte (Abb. 20). Die Personen, die sich über den Landstreicher auf der Bank beugen, könnten alte Frauen sein. Das bedrohliche, unheilverkündende Bild wandelt sich plötzlich in eine Darstellung von Mitleid, ja fast Zärtlichkeit. Trotzdem können wir die Bedeutung des Bildes an keinem Pol wirklich fixieren. Auch wenn sich das Thema des Bildes durch andere Skizzen konkretisieren ließe, könnten wir nicht mit Sicherheit sagen, in wie vielen Versionen und mit welcher Bedeutungszueignung Mednyánszky das Bild tatsächlich malte. Immer aufs Neue stellen wir nämlich verblüfft fest, dass Mednyánszky zuzu­eignende Bilder zum Vorschein kommen, die offenbar keine Fälschungen sind 76 und doch fast maßidentische Versionen von vorhandenen Bildern darstellen (oft handelt es sich um sehr große Bilder, die nur mit einer hohen technischen Fertigkeit gemalt werden können). Außerdem gibt es bei Mednyánszky fast kein Motiv, das er nicht wenigstens noch ein­mal, in den meisten Fällen sogar Dutzende Male und öfter mit kleinen Abänderungen, in anderen Modi oder in einem anderen Format gemalt hätte. Sein besessenes Interesse für Bildfolgen und Sequenzen, das ihn während des Krieges schon zu einer Art „Kriegsroman" verleitete, nährte sich aus verschiedenen Quellen. Teils denken wir dabei an die bereits erwähnten impressionistischen Bildzyklen, teils an jene von Barbizon inspirierten Phänomene wie die Bildzyklen von Emil Jakob Schindler, den Mednyánszky in Wien kennenlernte. Eine andere Quelle war die Verbreitung der Fotografie, eine dritte die beson­dere Aufmerksamkeit, die die Symbolisten und die Jugendstilkünstler dem Triptychon schenkten. Das wichtigste aber war für Mednyánszky das Ringen mit der Narration, mit dem nicht zu bannenden Bedeutungsinhalt der Bilder bzw. sein kritisches Verhältnis zu den zeitgenössischen Stilrichtungen. So wie der Zeitgenosse und in vielem mit Mednyánszky zu vergleichende Proust in Albertines Gesicht die mögliche Umwandlung des Erhabenen in Abscheuliches erblickt und von dieser „schädlichen Inversion" wie von einem Medusenhaupt hypnotisiert wird, so kommt auch Mednyánszky nicht von der Erkenntnis los, dass die gleiche Form, das gleiche Motiv und Gebilde ein Gefäß für die verschiedensten, oft extrem entgegengesetzten Inhalte sein kann. Diese Umwandlungsfähigkeit der Gebilde und Formen hat Mednyánszky ebenso wie Proust dazu angeregt, an Reihen und Ketten von Wiederholungen die Transfiguration ein und desselben Motivs zu beobachten. Deleuze schreibt in Verbindung mit Proust: Was wiederholt wird, ist in jedem Fall ein individuelles Leiden. Die Wiederholung selbst aber ist immer freudig, die Tatsache der Wiederholung ruft allgemeine Freude hervor. Genauer gesagt: Die Tatsachen sind immer traurig und individuell, der davon abgeleitete Gedanke aber ist allgemein und heiter. Die wei­teren Sätze klingen, als hätte sie Mednyánszky, der in der Theosophie ein Echo auf seine intimsten Impulse entdeck­te, geschrieben: Jeden, der uns ein Leid verursacht, können wir mit einer Gottheit in Verbindung bringen, allerdings einer Gottheit mit unvollständigem und abgeschwächtem Widerschein, die, wenn wir sie als Idee betrachten, uns sofort anstelle des Leids, das wir ertragen, Freude spendet. Die ganze Kunst des Lebens besteht darin, dass wir die uns Leid bringenden Wesen wie Stufen benutzen, über die wir zur göttlichen Form dieser Wesen gelangen und so unser Leben Tag für Tag mit Gottheiten bevölkern. Das Wesentliche wird in den Zeichen der Liebe verkörpert, doch notwendigerweise in Serien- also in allgemeiner Form. 77 Ebenso wie der große Romanverlauf Prousts komposito­risch darauf aufbaut, dass die einzelnen Liebesbeziehungen und die einzelnen Augenblicke des Lebens durch die Wiederholung alle zu Verallgemeinerungen von Liebe und Zeit werden, während sie jegliche Eventualität verlieren, so versucht Mednyánszky Motive, die der Natur und der Kunst der Vorgänger und Zeitgenossen abgeschaut sind,

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