Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)

Csilla Markója: „Die Entfernung zwischen einem erhabenen und einem abscheulichen Gesicht". Über die außergewöhnliche Kunst des László Mednyánszky

14 Jusepe de Ribera: Demokrit, 1635-1637. Öl auf Leinwand, 115 X 119 cm (Earl of Pembroke Collection, Salisbury) 15 László Mednyánszky: Landstreicherkopf, Öl auf Leinwand, 40 X 31 cm (Privatbesitz, Repr. Kieselbach Galerie, Frühjahrsauktion 2001, Pos. 70) Munkácsy, manchmal an Daumier, beeilte sich aber gleich, auf die Unterschiede hinzuweisen: „Munkácsy ist weniger romantisch und setzt schärfere Akzente, Daumier ist um ein Vielfaches pathetischer und oft satirisch, Mednyánszky hingegen empfindet für seine unglücklichen Bekannten tiefe Sympathie." 58 In diesem Sinne scheinen die 1897 ausgestellten Landstreicherbilder Mednyánszkys keineswegs ohne Vorläufer. Der ikonographische Einfluss der französischen Pressezeichnung und des Bettlerphilosophen-Typs verweisen uns wieder auf die Kunst von Ribera. Unter den fran­zösischen Malern des 19. Jahrhunderts begeisterte sich nicht nur Millet für Ribera, es gab in Frankreich einen wahren Ribera-Kult. Auf den Zusammenhang der Bettlerromantik Riberas mit der Kunst des Holländers Pieter van Laer hat die Fachliteratur aufmerksam gemacht. 59 Von dem Naturalismus der nordischen Malerei wiederum war Mednyánszky stets beeindruckt. Der Ribera-Monograph bemühte sich bei der Analyse der Beziehung Riberas zu den Armen nachzuweisen, dass die Bettlerbilder weniger eine Folge der sozialen Sensibilität Riberas sind und eher seiner künstlerischen Innovation entspringen. Überzeugend legte er dar, wie sich die monumentalen Bettlergestalten aus gewissen allegorischen Bildthemen, aus klassischen, jedoch als gewalttätig interpretierten mytho­logischen Kompositionen entwickeln. Unter den Vorläufern finden sich auch bei Ribera Folterszenen und die Märtyrergestalt des hl. Sebastian. Sein 1630 entstandener Demokrit (Abb. 14) ist die einzige Figur des Bildes. Die in Lumpen gehüllte barfüßige Gestalt vor dem dunklen Hintergrund verkörpert mit zynischem Lachen das Dogma des „freien Willens". 60 Obwohl Mednyánszky den Namen Ribera in seinen Tagebüchern - zumindest in den uns bisher bekannten - erst 1912 erwähnt, läßt der Zusammenhang des ikonogra­phischen Typs mit seiner Kunst keinen Zweifel aufkommen. Mednyánszky bewegte sich vor der Jahrhundertwende nicht nur auf den Spuren der Landschaftsmalerei von Barbizon und Wien. Seine Anfang des 20. Jahrhunderts zur Entfaltung kommende außergewöhn­liche Malerei nährte sich auch aus anderen Quellen. Sie wuchs aber an der Peripherie dieser komplizierten europäischen Tradition, im Kontext zur mitteleuropäischen Kunst heran. Seine Werke sind kein „mitgebrachtes Material", kein künstlerischer Import oder das verzweifelte Streben der Peripherie nach dem Zentrum. Mednyánszky hat mit seinen Landstreicherbildern der europäischen Kunst etwas hinzugefügt (Abb. 15-16). Unterstützen oder angreifen: Umkehrungen und Kreuzungen in Mednyánszkys Kunst Die Pariser Ausstellung von 1897 brachte für Mednyánszkys Schaffen den ersten wahren Durchbruch. Schon 1898 feierte der Kunstkritiker Károly Lyka, Redakteur der Zeitschrift Új Idők und später der Kunstzeitschrift Művészet, den im „Wintersalon" des gleichen Jahres ausstellenden Maler: „Wir ziehen den Hut und begrüßen in tiefer Verehrung den größten modernen ungarischen Künstler, László Mednyánszky. Sicher und geraden Weges hat er sich, einem Adler gleich, in die reinen Höhen erhoben, unter seinen Flügeln sind - wie im Märchen alter Zeiten - viele singende Nachtigallen aufgeflogen, eine ganze Generation, an der wir unsere poetische Freude haben, weil sie uns Werke, gewoben aus Natur, Wahrheit und poetischen Stimmungen, gaben, eine großartige Sinfonie aus brauner Erde, nebligen Seen, gleißendem Himmel, weißen Wolken und sich wiegenden Sträuchern. [...] Mednyánszky ist der Mittelpunkt, um den sich in dieser Ausstellung alle Talente drehen. In einem gewissen Idealsinn ist er heute die Führungsgestalt, der Wegweiser der ungarischen Kunst. Er ist unter ihnen der Poet, der die großen Akkorde anschlägt. Er ist ihr Papst, mit grauem Haar, aber kindlich jungem Herzen. Er ist der einzige wirkliche Lehrmeister der ungarischen Maler." 61 Mednyánszky war damals 46 Jahre alt. Er war ein Spätentwickler. Erst vor kurzem hatte er seine im weitesten Sinne verstandenen Lehrjahre abgeschlossen. Auf der Pariser Ausstellung, die als Grenzpunkt anzusehen ist, zeigte er auch eine Gruppe von Bildern, die das Publikum betroffen machten. Dies waren die sog. Landstreicherbilder, die den erhabenen oder intimen Landschaftsbildern Mednyánszkys ebenso fern standen, wie in dem als Motto angeführten Proust-Zitat das erhabene teure Gesicht Albertines dem abscheulichen. Proust empfand, dass diese Entfernung einerseits nur in einer winzigen Linie besteht, andererseits so groß ist, wie der Abstand zwischen den beiden Taten, „einen Verwundeten zu töten" und „einem Verwundeten auf die Beine zu helfen". Mednyánszky hat diese Inversion unzählige Male vorgenommen. In seinen Skizzenbüchern neigt sich mal der Arzt über den Verwundeten, um die Schmerzen zu lindern, mal der Folterknecht, um die Schmerzen noch zu erhöhen. 62 Auf anderen Darstellungen umfassen zwei Menschen einen Dritten: in einem Fall handelt es sich um Betrunkene, im anderen wird ein gefes­selter Gefangener von den Gefährten geführt. Angriff und Unterstützung als zwei gleichmögliche, wenngleich extrem entgegengesetzte Bedeutungen ein und derselben formalen Gestalt: Auf einer Skizze stützen die Soldaten ihren verwundeten Kameraden, auf einer anderen lynchen sie ihr Opfer. Von dem kleinen Bild Lynchen (Kat. 210), das selbst nur eine Skizze zu zwei bis heute verschollenen großen Ölbildern war, sind aber hundert handtellergroße Skizzen bekannt. 63 Mednyánszky selbst war sein ganzes Leben lang von den Inversionen oder - wie er es nannte - „Umkehrungen und Kreuzungen" fieberhaft gebannt. „Umkehrungen und Kreuzungen. Diese Frage beschäftigt mich sehr, denn ich muss eine Regel, ein Gesetz fin­den, wonach bestimmte Dinge umgekehrt oder gekreuzt werden. Eine Formel für höhere Operationen." 64 An

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