Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)

László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Erzsébet Király: Der Maler der „düsteren Schönheit". Skizze zum romantischen Mystizismus Mednyánszkys

3 Das Werk bildet zusammen mit A kiválás genezise [Die Genesis der Auslese] und A pénz legendája [Legende des Geldes] eine Trilogie im Lebenswerk von Zsigmond Justh (1863-1894). Ursprünglich war ein Romanzyklus von vierzehn bis sech­zehn Bänden vorgesehen. Aber schon das Erscheinen des dritten Bandes Fuimus (1895) hat der junge Schriftsteller nicht mehr erlebt. Wie im vorliegenden Katalog Ferenc Gosztonyi in seiner Studie Ein richtiger Roman rekonstruierte, ist das Werk insgeheim von Dezső Malonyay vollendet worden. 4 Das Zitat ist folgender Fuimus-Ausgabe entnommen: Justh, Zsigmond: Fuimus (1895). In: Századvég [Ende des Jahrhunderts]. Auswahl, Textbearb. u. Anm. v. Anna Szálai. Budapest 1984. II. 332. 5 Ebd. 296. 6 Der volkstümlich gewordene Spitzname stammt von Mednyánszky und tauchte schon früher in seinem eigenen Wortgebrauch auf. In Fuimus ist er also ebenso ein realistisches Moment, wie das von Armut kündende Bettlergewand. Wenngleich die Hund­Metapher anhand des Zitats als Lebensphilosophie recht eindeutig ist, bedarf es an dieser Stelle doch einer ausführlicheren Erklärung. In seinem Nekrolog für Mednyánszky apostrophierte Gyula Pékár den Maler als Diogenes, und dem Roman von Justh können wir entnehmen, dass der ideelle Hintergrund für die Malerfigur in der kynischen Strömung der antiken griechi­schen Philosophie zu sehen ist. Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. trug Diogenes von Sinope, der das Ideal der Bedürfnislosigkeit vertrat und sich als Weltbürger bezeichnete, den Beinamen Hund (griech. Kyon). Obwohl die Kyniker kein System und keine organisierte Schule hinterließen, blieb ihre Lehre als praktische Ethik, die auf dem persönlichen Vorbild aufbaute, bis zum Ende des 6. Jahrhunderts lebendig. Und tatsächlich ist sie eigentlich nie ganz aus der europäischen Kultur verschwunden. Vor allem in gesellschaftlichen und historischen Krisenzeiten tauchte sie immer wieder auf, weil sie auch aus dem Hellenismus hervorgegangen war. Die Kyniker forderten die aktive Loslösung von der Außenwelt, die nur Ziele stellt und Bedürfnisse weckt, mit Genüssen lockt und den Menschen dadurch in körperlicher und seelischer Abhängigkeit hält. Das Pfand der Tugend können allein Gleichgültigkeit gegenüber der materiellen Welt und Unterdrückung der Gefühle (apatheia) sein. Darum ist das Geld schlecht, denn es lässt Wünsche wach werden, und schlecht ist das Eigentum, denn es kettet den Menschen an sich. Das gleiche gilt für die menschlichen Beziehungen - Abstammung, Kaste, Familie, Rang, Auszeichnungen und Ruhm sind alles unnötige Fesseln. Am besten haben es die Tiere, sie sind an nichts gebunden, und die Götter, sie haben keine Bedürfnisse. Der vollkommene Mensch lebt in der Natur, von der er aber nur das für seine Existenz erforderliche Minimum nimmt. All das drückt sich - wie Hegel es beschrieb - auch in der typischen „zynischen" Kleidung aus: „Ein dicker Prügel vom wilden Ölbaum, ein lumpiger verdoppelter Mantel ohne Unterkleid, der auch Bett bei Nacht war, ein Bettelsack für die nötigen Lebensmittel und ein Becher zum Wasserschöpfe". (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Frankfurt am Main 1986. 556) Diogenes war nicht nur für seine Bedürfnislosigkeit bekannt, sondern auch für Schlagfertigkeit und spöttische Reden. Mit scharfer Zunge geißelte er die Konventionen und wurde zu einem Nachfolger von Sokrates. Diese Richtung forderte noch nicht zum Eremitenleben auf, trug aber bereits die Keime der Askese in sich. Einzelne Schüler des Diogenes verteilten ihr Vermögen demonstrativ an die Armen, sorgten für die Bedürftigen und heilten sie sogar, was Auswirkungen bis hin zum karitativen Christentum hatte. Andererseits entwickelte sich aus der Ablehnung dauerhafter menschlicher Beziehungen, die nur die Ungestörtheit der Seele gefährdeten, auch die zynische Einstellung, jedem den Rücken zu kehren und die Menschen zu meiden, worin sich die ursprüngliche innere Spannung dieser Tradition zeigt. -All das hatte das Umfeld von Mednyánszky wohl im Sinn, wenn es den Maler mit den genannten antiken Philosophen verglich. (Zur Sokrates-Parallele vgl. z. B. Justh, Zsigmond: Hazai Napló [Heimatliches Tagebuch]. In: Justh Zsigmond naplója és levelei [Tagebuch und Briefe von Zsigmond Justh]. Auswahl der Briefe, Anm. und Red. des Bandes v. Sándor Kozocsa. Budapest 1977. 409) Im Namen dieser Tradition ruft übrigens auch Charles Baudelaire die städtische Muse zu Hilfe - des akademischen Muse gegenüber ., J'invoque la muse familière, la citadine, la vivante, pour qu'elle m'aide à chanter les bons chiens, les pauvres chiens, les chiens crottés, ceux-là que chacun écarte, comme pestiférés et pouilleux, excepté le pauvre dont ils sont les associés, et le poète qui les regarde d'un oeil fraternel" (Baudelaire, Charles: Les bons Chiens. Le Spleen de Paris [Petits poèmes en prose]). - Das Attribut „alt" könnte Mednyánszky auch aus dem Gedicht Háziuraság von János Arany entlehnt haben: „Wer weiß, wie viel er durchs Land / Die Pfoten lief sich wund, / Bis seinen Herrn er dann fand, / Der gute alte Hund:' (Arany, János: Háziuraság [Hausherr]. In: Arany János összes költeményei [Gesammelte Gedichte von János Arany]. Budapest 1967. I. 111. - Hervorhebung von E. K.) 7 Justh (wie Anm. 4) 269. 8 Ebd. 334. 9 Ebd. 349. 10 In seinem Todesjahr verwirklichte sich Justh einen alten Traum. Im Garten seines Schlosses in Pusztaszenttornya ließ er ein Theater in griechischem Stil mit einer von acht dorischen Säulen getragenen Fassade errichten. Hier spielten seine Bauern die Klassiker, Sophokles und Molière. Sein Unternehmen war, wie einer seiner Monographien formulierte, „eine mystisch-mythologische Vision", die er jedoch voller Stolz der Welt vorführte. Zur Einweihungsfeier hatte er auch einige Pariser Freunde geladen. Siehe: Diószegi, András: Párizs és Szenttornya között [Zwischen Paris und Szenttornya]. Nachwort. In: Justh, Zsigmond: A kiválás genezise: A pénz legendája. Gányó Julcsa. Fuimus [Die Genesis der Auslese: Legende des Geldes. Julcsa Gányó. Fuimus]. Budapest 1969. 485. 11 Für die Reformbestrebungen gab es historische Vorläufer. Es handelt sich um den Problemkreis der sogenannten organischen Entwicklung, der im ungarischen politischen Denken mindestens bis 1848 zurückzuverfolgen ist. Damals diskutierte man natürlich noch nicht im Geiste des Sozialdarwinismus, wie es die Anhänger Jusths taten, scheinbar aber mit analogen biolo­gischen Vorstellungen. Es ging um die Suche nach einem ungarischen konservativen Weg, und zwar inmitten der kapitalisti­schen Verhältnisse, die dem freien Wirtschaftswettbewerb Tür und Tor öffneten. Großkapital, Industrie und Banken wurden beschuldigt, den ursprünglichen Organismus der ungarischen Gesellschaft zu zersetzen und sowohl die adligen als auch die bäuerlichen Schichten, ja sogar die kleinen Handwerker zu gefährden. Deshalb suchte man ein Gegengewicht in den patriar­chalischen, traditionellen Klassen, die aus den eigenen Reihen und mit integrierten - aufsteigenden und emporzuhebenden - gesellschaftlichen Kräften eine Mittelklasse bilden sollten. Anders glaubte man den Zerfall nicht aufhalten zu können, und als Schreckensvision sah man die Nation bereits in Bourgeoisie und Proletariat polarisiert. Eine soziale Revolution würde aber dann gerade für diese Mitte Gefahr bedeuten oder sie hinwegreißen. Der patriarchalische Traditionalismus verwies im Gegensatz zum bevorstehenden gesellschaftlichen Kataklysmus in die friedliche Vergangenheit. In diesem ideologischen Ideenkreis zerfiel die ungarische Realität in „Starke" und „Schwache", bis sie Ende des Jahrhunderts dann tatsächlich zu einem erdrückenden Schauplatz des Existenzkampfes wurde. Der Grundbesitz selbst zeigte nun zwei Gesichter, war entweder „national" oder „unnational", je nachdem, ob er Eigentum der historischen Grundherren blieb, die ihre uralten Wurzeln bewahrten, oder in die Hand des „wandernden" Kapitals geriet, das sich nach der Wirtschaftskonjunktur aus­richtete. Siehe dazu zahlreiche Studien von Miklós Szabó, insbesondere: Új vonások a századforduló magyar konzervatív politikai gondolkodásában [Neue Züge im ungarischen konservativen politischen Denken der Jahrhundertwende]. In: Szabó, Miklós: Politikai kultúra Magyarországon [Politische Kultur in Ungarn] 1896-1986. Ausgewählte Studien. Budapest 1989. 109-176. 12 Die konservativen Reformvorstellungen gingen ebenfalls noch vor dem Wirken des Justh-Kreises, in den 1870er Jahren aus der Liberalismus- und Kapitalismuskritik der aristokratischen Intelligenz hervor, hatten aber eine stark romantisie­rende, moralische Motivation. Die Verfechter dieser Anschauungen warfen dem nach dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn zustande gekommenen ungarischen Staat und auch den Großgrundbesitzern selbst vor, die Bauern und die kleinen Handwerker im Kampf gegen die Bourgeoisie „allein gelassen" zu haben, so dass sie verletzbar wurden und der

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