Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)

László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Erzsébet Király: Der Maler der „düsteren Schönheit". Skizze zum romantischen Mystizismus Mednyánszkys

Tagen angekleidet im kalten Atelier wie ein echter und wahrhaftiger Landstreicher. Hätte ich eine entsprechend großen Spiegel, könnte ich mich selbst malen und hätte keine Sorgen um Modelle; ich beginne mich als schön zu betrachten." 49 In der neuen bizarren Antithese von hässlich und schön, die Mednyánszky auf sich selbst bezog, spricht wieder der konsequent lebende und schaffende Künstler zu uns und beschreibt vielleicht gerade die Entstehungsumstände seines Gemäldes Grübler. Über das Leiden hat Mednyánszky in jener Zeit wiederholt nachgedacht. 1912 ging die Nachricht vom Untergang der Titanic um die Welt. Auch Mednyánszky las davon - und notierte „schöne Momente". 50 Einige Monate später schrieb er jedoch: „Das Leiden. Dieses herrliche Spiel zwischen Licht und Schatten. Das Individuum leidet für alle Lebewesen und alles zusammengenommen für jedes einzelne. Das größte Leid ist immer auch die größte Herrlichkeit. Das größte, erhabendste Leid ist das, welches nicht nachdenkt, nur liebt." 51 Aus Mednyánszkys Lebensführung und Rechenschaft sich selbst gegenüber geht hervor, dass seine Landstreicherthematik schon lange über die anfängliche soziale Neugierde hinausgekommen und - seinem eigenen späteren Wortgebrauch gemäß ­zum Gegenstand eines höheren künstlerischen Selbstbewusstseins und einer höheren Anschauung geworden war. Der Künstler, ständig in Furcht vor den Fallen der Sentimentalität, stellte sich mit der doppelten Forderung nach Analyse und Wahrheitssuche eine schwierige Aufgabe, die ihn auf unmarkierte Wege führte. Er war sich darüber im klaren, dass eine authentische Darstellung „seiner Raubtiere" von den traditionellen Kunstgattungsrahmen und Ausdrucksmöglichkeiten nicht zu erhoffen war. „Neues Motiv. Eine verräucherte Kneipe am Abend. Dieses Thema ist so abgedroschen, nur weil immer etwas Sentimentales damit vermischt wird, wodurch der wilde Originalcharakter verloren geht" 52 , notierte er. Da ihm das physische und mentale Drama seiner Modelle wichtig war, brauchte er die Nahansicht. Dadurch erhielt jede Figur einen selbständigen bildlichen - durch den bewussten Einsatz von Licht und Farbe betonten - Wert. In diesem Zusammenhang sollten wir noch einmal einen Blick auf den Grübler werfen. Mednyánszkys Vorstadtfiguren weisen in ihrer selbstzerstörenden und Zerstörung bewirkenden Existenz über sich selbst hinaus und brandmarken die immer und überall gegenwärtige menschliche Entrechtung. Die einzeln beobachteten Individuen treten aus der Dualität von Genrebild und Porträts heraus und werden zu Trägern symbolischer Inhalte. Die Gemeinschaft, die der Maler mit ihnen eingeht, bringt den Landstreicher­Aspekt eines Selbstbildnisses hervor - so wie wir es zuerst in Fuimus lesen konnten - und zwar über die ethischen und malerischen Stationen Beteiligung - Kennen lernen - Erkennen - Anteilnahme. Ohne diese Höllenfahrt wäre Mednyánszky wohl kaum zu der Erkenntnis der universellen Fähigkeit des Leidens gelangt: „Slowaken, Ungarn, Schwaben, Juden: sie haben ein gemeinsames Elend." 53 Die bisher publizierten Quellen sprechen nur indirekt von der geistigen Ausrichtung und den kulturellen Idealen Mednyánszkys. Über seine ästhetische Orientierung oder Information haben wir sogar noch weniger gesicherte Angaben. Seine auf Gegensätzen aufbauende, dualistische Betrachtungsweise gestattet aber vielleicht, zumindest seinen Geschmack aus dem romantischen Lebensgefühl abzuleiten, in das auch sein regredierender, antizivili­satorischer und antiutilitärer Konservativismus passt. Die Erkenntnis der Zerfallenheit des Weltganzen und der Doppelgesichtigkeit der Schönheit, der Kult des Negativen, Absurden, Verzerrten, Hässlichen und Schrecklichen wurzeln gleichfalls in der Romantik, ebenso in der Neoromantik, die Mitte des Jahrhunderts eine gewaltige Renaissance erlebte, und dem ihr verwandten Symbolismus. Die aus der Zeitlosigkeit der Klassizität herausge­kippte, verderbliche irdische Schönheit, die „finstere Schönheit", „das Kind der kranken Muse" bildet mit dem Tod ein einziges „Doppelwesen". Die deutschen und englischen Romantiker, die makabre Poesie der französischen Symbolisten sind alle ähnlich der Kunst Mednyánszkys eine Anklage an die Wirklichkeit. 54 Eine der stärksten Metapher der Romantik, die Nacht, ging von Novalis auf Baudelaire über, um mit Dämmerung, Sonnenuntergang, Nebel und Regen zum Symbol des Verwelkens und der Vergänglichkeit zu werden Die Nacht ist auch für Mednyánszky ein selbständiger malerischer Gedanke, mit dem er eine ganze Komposition gestaltet. Hier handelt es sich um mehr als nur um eine Folge des bekannt labilen Gemütszustandes des Malers, über den seine Schwester Margit berichtet: „Eine besondere Wirkung hatte das wechselnde Licht auf ihn. Morgens und am Vormittag fühlte er sich leicht und fröhlich, aber wenn die Nachmittagssonne anfing zu scheinen, zog er sich in sein Zimmer zurück, und es überkam ihn dunkle Melancholie. Das waren seine schweren Stunden. Wunderbar war die Wirkung von Mondscheinnächten: Dann fühlte er sich jung, genoss das Mondlicht stundenlang am Ufer oder im Garten, ging umher und war wieder stark." 55 Der - wie wir oben gesehen haben - auch als junger Mensch alte Maler fühlte sich in der versinkenden, verge­henden Natur jung! Allerdings maß jene Kultur, die er vermutlich schon auf seiner ersten Paris-Reise studiert hatte, der Flucht aus dem ephemeren, gewinnsüchtigen und spießbürgerlichen Leben ins „Nichts" der kosmischen Nacht erlösende Kraft bei. Es sei an dieser Stelle nur auf eine der vielen hundert Analogien, auf Gedichte von Baudelaire hingewiesen: „0 nuit! ô rafraîchissantes ténèbres! vous êtes pour moi le signal d'une fête intérieure, vous êtes la délivrance d'une angoisse!" 56 Der Dichter, der den romantischen Sonnenuntergang, die Abenddämmerung, die Zerstörung, die Einsamkeit, die Wohltaten des Mondes, die Sehnsucht nach dem Nichts und die armen Landstreicher besingt, jener satanische Dichter des Verfalls und der Blumen, des Spleens und des Ideals, mag Mednyánszky sehr nahe gestanden haben. Gyula Pékár erwähnt in seinem Mednyánszky-Nekrolog auch gleich zu Anfang, wie gern sein Freund die „Baudelaire'sehe paysage" malte. 57 Mednyánszky verband den Begriff Leiden mit dem Verwesungscharakter, dem Zerfall der Welt. Der für den Zeitgeist bestimmende Biologismus, wie wir ihn bei Justh kennen gelernt haben, löste Ende des 19. Jahrhunderts in der Künstlerwelt teilweise eine fast hysterische Furcht, Fluchtgedanken, Todessehnsucht oder Abscheu aus. Es war eine Erschütterung der philosophischen Richtungen des Materialismus, deren künstlerische Konsequenzen sich in erbarmungsloser Kritik des Naturalismus und in Transzendenz bedingten Idealismen zeigten, die einen Ausweg aus dem Elend des irdischen Seins suchten. An dieser Stelle wären aus der universellen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts Dutzende weiterer Namen zu nennen, deren Träger das Erlebnis der Existenzverleugnung, des

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