Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Erzsébet Király: Der Maler der „düsteren Schönheit". Skizze zum romantischen Mystizismus Mednyánszkys
len). Dann für eine Zeit Arbeit annehmen, und zwar die gewöhnlichste, schon aus dem Grunde, weil wir für etwas anderes nicht ausgebildet sind. Schaden wird es nicht, denn es kann in keiner Hinsicht schaden. Für den Fall, dass ich keinen Gefährten finden sollte, könnte ich die Sache eventuell auch allein unternehmen." 44 Auch hier handelt es sich, wie bei dem Wunsch, am Krieg teilzunehmen, um einen bewussten Abstieg und um Erlebnissehnsucht. Die Tagebuchquelle gibt aber auch darüber Auskunft, dass der Wunsch, sich dazuzugesellen, bei Mednyánszky kein bloßer schöpferischer Kunstgriff war. Gyula Pékár hatte schon ein Jahr früher in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen Emberi Documentumok [Menschliche Dokumente] notiert, wie ihn Mednyánszky überreden wollten. „Er legte mir dar, dass das Menschliche in meiner Persönlichkeit durch die Beschäftigung mit den generellen Ideen empfindungslos geworden ist. Damit ich menschlich werde, sollte ich mit den niederen Kreisen Kontakt aufnehmen: diese wären sicher fähig, individuelle Sympathie in mir zu wecken. [...] Ein bewundernswerter komplexer Geist. In zynischem Gewand [...] aber mit wunderbar warmen Gefühlen. Und was für ein tiefgründiger Künstler! Er lebt inkognito viel mit Arbeitern zusammen, die er unterstützt." 45 Die praktische Philanthropie Mednyánszkys ist in der Tat als das größte Rätsel seines Lebens und ein Eckstein seiner Kunst zu betrachten. Wie damals bereits alles, war dies für ihn eine weltanschauliche, moralische und ästhetische Frage, wobei alle Aspekte untrennbar miteinander verbunden waren. Damit auch wir es nicht einfacher sehen, als es in Wirklichkeit war, müssen wir uns noch tiefer in die antagonistische Welt des Künstlers versenken. Wie bekannt, schwärmte Mednyánszky begeistert für seine Heimat und deren Bewohner, die zur niederen Klasse zählenden Bauern. Ihnen gegenüber äußerte sich erstmals seine demokratische Einstellung, und zwar schon unwahrscheinlich frühzeitig. Margit Mednyánszky erinnert sich in naiver Nostalgie an die glückliche Friedenszeit, als ihr Vater mit fürsorglicher Großzügigkeit und Recht sprechenden Gesten das Gleichgewicht zwischen Schloss und Dorf aufrechterhielt. László, „der das Leben und seine Kompliziertheiten nicht kannte", empörte sich gegen „die alten Respektsregeln": „... er konnte deren Nützlichkeit und absolute Notwendigkeit nicht einsehen. Damals begann er, im Dorf herumzugehen, die Menschen mit seiner Liebe zu überschütten - und wurde natürlich von ihnen enttäuscht!" 46 schrieb die Schwester ein wenig vorwurfsvoll. Zwischen den Zeilen ist - als einfache Verhaltensanomalie - eine ethische Überzeugung herauszulesen, die in der Geschichte der Philosophie als Naturrecht bekannt ist. Die Lehre von der aus menschlicher Vernunft und menschlicher Natur resultierenden Gleichheit mit ihren bis in die Antike zurückreichenden rationalen Wurzeln hatte sich der junge Mednyánszky selbst auf natürlichem Wege angeeignet, und er hielt ideell und gefühlsmäßig ein Leben lang daran fest. Für die Philosophie der Menschenliebe und das Prinzip des Naturrechts brauchte Mednyánszky das allgemeine Leid nicht nur als Alternative, sondern auch, um den Dualismus seines neuen Weltbildes zu ertragen. Der Maler, der sich in die Randbezirke von Pest hinauswagte, bereitete sich nach Aussage des Tagebuches bereits Anfang der 1890er Jahre auf eine neue Thematik vor, die er neben seinen älteren Landschaften im April 1897 in Paris ausstellen wollte. In der Galerie Georges Petit - der einzigen organisierten Ausstellung in seinem Leben - war die Thematik, aus der schließlich der „Landstreicher-Zyklus" wurde, ausgereift. Entlang der auseinanderklaffenden ungarischen Gesellschaftszustände gelangte der Maler auch zu dem Pendant der um Integrität besorgten, idealisierten Provinz, zu der verfluchten Großstadt. Seine für dramatische Extreme empfängliche Natur und sein Interesse für Gegenpole führten ihn sogleich in die dunkelsten Winkel der Stadt, an die Peripherie, und anstatt in die Heime der Arbeiterfamilien zu gehen, begab er sich geradewegs in das Chaos der Straßen und Kneipen. Hier sah er in den Arbeitslosen und infolge der Arbeitslosigkeit zu Tagedieben und Verbrechern gewordenen Existenzen das teuflische Gegenbild zur engelhaften Gestalt des Bauern (Mann mit zerzaustem Haar, Abb. 1). Das Elend und seine bitteren Poesien entdeckte Mednyánszky in der Stadt an den Stellen „des allgemeinen Verfalls", „wo sich die dekadenten Individuen inkarnieren". 47 Zu der Zeit nahm der gefürchtete Verfall in Mednyánszkys Œuvre eine vergegenständlichte Form der Zivilisation an, und dieser tiefgehende „Kulturpessimismus" ließ auch seine Auffassung vom Menschen nicht unberührt. Für ihn tat sich in diesem Zivilisationsmedium das erschreckendste Bild von der Natur des modernen Menschen auf. Sein scharfes Auge und seine künstlerische Phantasie waren geradezu davon gebannt, dass der durch Naturrecht ausgezeichnete Mensch, losgelöst vom Mutterboden, in derartige Tiefen der irdischen Hölle geraten konnte. In den Landstreicherbildern nutzte Mednyánszky - wie das Tagebuch belegt - erstmals die Lehren aus seinen bisherigen psychologischen Studien. Während er Lebensweise, Gewohnheiten und Leidenschaften der „Raubtiere" erforschte, hielt er charakteristische Verzerrungen von Körper und Geist fest. Er erkannte, dass die Armut erbarmungslos das Triebleben stimulierte und die niederen, oft tierischen Züge verstärkte, um zu erniedrigen. Seine als Momentaufnahmen herausgegriffenen Figuren dieser Umgebung, die er mit roten Lichtquellen rätselhaft beleuchtete, sind ausgesprochen naturelle, grob gestaltete Wesen, Verkörperungen der physiologischen und psychischen Mechanismen, Typen, Charaktere und zugleich Repräsentanten allgemeiner menschlicher Schicksale. Aus seiner Biographie wissen wir, dass László Mednyánszky in dieses ihm von Geburt her nicht bestimmte Schicksal kontinuierlich hineingewachsen ist. Er selbst bekannte: „Das Schicksal verurteilte mich dazu, alle Schattenseiten unserer Gesellschaft kennen zu lernen, denn es verband mich mit einer Gruppe armer Menschen, die ich geliebt habe und für die ich bereit war, alles zu tun, und die ich doch vielleicht einmal rächen werde?" 48 Das fragte er im Februar 1898 nach seiner erfolgreichen Ausstellung in Paris. Weil er sein Vermögen zusammen mit seinen Bildern jahrzehntelang unter den Armen verschenkte, geriet er manchmal selbst in eine ausweglose Situation. 1912 klagte er David Klein: „Für eine neue Wohnung reicht das Geld nicht, so schlafe ich jetzt seit 10 l László Mednyánszky: Mann mit zerzaustem Haar (Studienkopf}, Öl auf Leinwand, 34,5 X 28,5 cm (UNG, Inv.-Nr. 55.846)