Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Erzsébet Király: Der Maler der „düsteren Schönheit". Skizze zum romantischen Mystizismus Mednyánszkys
Laut seinen zwischen 1877 und 1881 zu Papier gebrachten Aufzeichnungen - die frühesten, die uns bekannt sind - bewegte er sich schon als junger Mann in diesem Problemkreis und kam auch von seinen Auslandsstudienreisen darauf zurück. In dem frühen Tagebuch, das in der Slowakei aufbewahrt wird, finden wir sowohl den schwermütigen, resignierenden Landschaftsmaler, der die dunklen Seiten der Natur bevorzugt, als auch den „idealen Reformer", der die gesellschaftliche Wirklichkeit wahrnimmt. Die menschlichen und malerischen Erfahrungen, die er in München, Barbizon, Beckov, Strázky und Szolnok gesammelt hatte, bestanden für ihn schon damals darin, dass der Mensch, ob schwer arbeitend, auf den Friedhof gehend, betend, die Kirche besuchend oder trauernd, mit der Natur eine Einheit bildet, die auf dem Begriff des beide durchdringenden Leidens beruht. Eine Bleistifteintragung in deutscher Sprache verweist darauf: „In dieser, wie in der ersten und zweiten Periode ist immer das Ewigesse [?] auf den Leidenden konzentriert." 25 Hier haben wir zum erstenmal eine schriftliche Spur davon, dass die gedachte menschliche Figur, begleitet von den Regungen der Landschaft und der Tagesabschnitte, zu einem interpretierten Motiv wird, dass also die Stimmung die Komposition gestaltet: „J am Ufer sitzend. Vormittags Südwind am jenseitigen Ufer. J auf dem Weg. J beim Brunnen. J arbeitet in der Sonne, J liegt krank, holt Holz aus dem Wald. Steht nachts Wache wie ein Soldat. Aus einer belagerten Burg ausbrechend [?]. Wie ein Steinbrecher an einem grauen Morgen, von hinten wie ein verwundeter Soldat." 26 Aus der gleichen Leidensphilosophie, jener Besorgnis um die in ihren Grundfesten erschütterte uralte Harmonie, gehen in dem frühen Tagebuch Ideen zu weiteren Bildgegenständen und Themenbereichen hervor. Ihre Bedeutung ist in dieser Lebensphase Mednyánszkys, auf dieser Stufe seiner Reflexionen zu verstehen. Hier taucht als Idee die Figur des aus der Nähe und mit Anteilnahme beobachteten Arbeiters in seinem Milieu auf: „Der Almosen gebende Arbeiter. Der arme Arbeiter im Kreis seiner Familie. Ein Arbeiter bei seiner kranken Mutter, sehnsüchtig aus dem Fenster schauend." 27 Hier ist auch die Unbarmherzigkeit eines Menschen einem anderen gegenüber als eine andere Quelle des Leidens genannt: „München. G. Dietrich als Gefangener. Ein Gefangener sehnsüchtig am Fenster, ein Verletzter blickt nach draußen - Ausdruck der höchsten Leidenschaft. J mit edler innerer Empörung, Verachtung und Pein." 2 * Hier lesen wir erstmals vom Krieg, von Naturkatastrophen, Feuerbrünsten und Überschwemmungen, die das Schicksal einzelner Menschen prägen, von Leid, das mit menschlichem Bewusstsein nicht zu erfassen ist, von den Quellen der kosmischen Kräfte. Mednyánszky, der über die Gründung von gemeinnützigen Organisationen und Krankenfürsorgevereinen - er nannte sie „Nötichkeit-Verein" - nachdachte 29 , begann neben abendlichen und nächtlichen Landschaftsstimmungen Charaktere und Lebenssituationen zu malen, und zwar wie er schrieb „ohne jede Zugabe und ohne nebensächliche Symbole", in beiden Sphären, in der Natur und in der Gesellschaft. In letzterer bewegte sich Mednyánszky nicht ohne Wertpräferenz. Im Banne der auch nach Oberungarn gelangten konservativen Idee knüpfte er historische Hoffnungen an die ungarischen Bauern, insbesondere an die Bauern der Ungarischen Tiefebene. Die Gestalt des Bauern betrachtete er von dieser Periode bis zu seinem Tode als Träger der physischen und psychischen Kraft, und so malte er sie auch. Das ist nicht die Bewunderung der reinen physischen Rohheit, also nicht der Reiz, den das „Lebensfähige" für das „Verfeinerte", das „Lebensunfähige" hat - wie der dekadente Grundsatz vom Existenzkampf es damals formulierte - , sondern die Bewunderung für die reine, unverdorbene Moralität. Der Kutscher János Dinda ist Wirklichkeit und Ideal zugleich, deshalb hielt der Maler sein Andenken auch in späteren Tagebuchnotizen in Ehren. Die Krankheit und der Tod von Dindas kleinem Jungen werden in den frühen Aufzeichnungen von dem tief erschütterten Mednyánszky ausführlich behandelt. Das aufrüttelnde Ereignis aus der Zeit um 1878 30 enthält für ihn zwei bedeutende schöpferische Momente. Zum einen verbindet sich das Erlebnis mit dem augenblicklichen Zustand der Natur: „Als ich aus dem Zimmer kam, wo mich der ergreifende Anblick ganz erschüttert hatte, vermittelte mir die kühle (nicht kalte) Nacht mit ihren Schneeflecken und dunklen Erdflecken, die in der Ferne zu einer seltsamen Farbe verschmolzen, einen ganz besonderen Eindruck." 31 Zum anderen prägt sich damals die Beobachtung von der physischen Zerstörung des Menschen tief im Bewusstsein und im visuellen Gedächtnis des Malers ein. Entsprechend seiner schwermütigen Stimmung zeigte der junge Mednyánszky ein besonderes Interesse für die beim Menschen zu beobachtenden Zeichen der Vergänglichkeit, so z. B. für das Alter. Hier aber wurde er gar Zeuge eines jungen Lebens im Todeskampf. Die Rätsel, die der Anblick eines die Seele aushauchenden, sich verfärbenden, zerfallenden menschlichen Körpers aufwirft, beobachtete er auch in den folgenden Jahren mit Schauder und doch immer wieder danach suchend. Zwischendurch erfahren wir aus den Aufzeichnungen auch, dass er naturwissenschaftliche, medizinische, kriegshistorische und geographische Werke las und sich bemühte, Stimmungen und Leidenschaften in Farbwirkungen umzusetzen. Als biographischer Beitrag zu diesem frühen Tagebuch scheint der Bericht von Margit Mednyánszky von Bedeutung, wonach die ersten Pariser Malerkurse, die auf München folgten, den Bruder sehr mitgenommen hatten. „Jede freie Minute verbrachte er im Louvre, im Luxembourg und den anderen Galerien, zum Beispiel in einer fürstlichen Corot-Ausstellung. Damals war Paris auf dem höchsten Stand der Kunst, von hier strahlte es auf ganz Europa aus, begeisterte und erweckte die Kunst in allen anderen Ländern. Womöglich waren die auf László einwirkenden Eindrücke zu intensiv, denn als Reaktion lösten sie in ihm Pessimismus und schwermütige Nervosität aus. Was dann von Zeit zu Zeit in strahlende gute Laune umschlug." 32 Unter den frühen und vielleicht deprimierenden großen Vorbildern finden sich als Anmerkung im weiteren Text der Rückerinnerung neben Corot auch die Namen Millet und Poussin. 33 Die frühe Thematik, die Mednyánszky aus der Außenwelt schöpfte, die Stimmungen und Effekte entstammten seiner melancholisch-pessimistischen Lebensanschauung. Der Maler reagierte mit einer starken Sensibilität auf die Wirklichkeit, fühlte sich aber von deren Schattenseiten angezogen. Der allgemeine Naturbegriff Mednyánszkys ist - wenn er es auch nicht so bezeichnete - schon frühzeitig von den Inhalten „belastet", die Justh und Yartin in ihm vermuteten bzw. benannten. Von dem, was Lyka in ihm sah, war er hingegen von Anfang an weit entfernt.