Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)

László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Erzsébet Király: Der Maler der „düsteren Schönheit". Skizze zum romantischen Mystizismus Mednyánszkys

tischer sein als der Mensch, der nichts besitzt, um das er sich Sorgen machen muss. Ich glaube, dadurch, dass ich in den Tag hineinlebe und kein Vermögen habe, bin ich freier als ein Vogel ..." 5 , sagt der „alte Hund" 6 über sich selbst. Nur diese Ungebundenheit bietet die Möglichkeit zu unvoreingenommener Selbstanalyse und nüchterner, historischer Abrechnung, wie sie in Jusths programmatischem Werk häufig zu finden ist. Während die versammelte Verwandtschaft in den Waffen- und Kostümsammlungen der alten Säle und in der Ahnengalerie umherwandelt, gibt sich Mednyánszky-Poldi philosophischen Überlegungen hin. Entweder in Gesellschaft der gebildeten und im Westen geschulten Hauptperson oder in sich selbst versunken, meditiert er über das erbarmungslose Lebensgesetz, das die führende Kraft der Nation verzehrt. Im Roman heißt es: „Der ,alte Hund' zog schamhaft am Hals das Hemd zu und kauerte sich zusammen, so dass von seinem Körper und seinen Kleidern kaum etwas zu sehen war, wobei er unschuldig vor sich hin sah." 7 Und an anderer Stelle: „Das Kinn in der Hand vergraben, von seinem weiten Gehrock fast verdeckt, hockte er auf dem Stuhl." 8 Dieses Roman-Bild von Mednyánszky, das Justh wahrscheinlich aus vielen persönlichen Eindrücken von seinem älteren Freund gewonnen hatte, ist geradezu die literarische Vorzeichnung für ein späteres Selbstbildnis des Künstlers. Das Porträt wurde erstmals von Ernő Kállai publiziert. In dem bärtigen alten Mann mit Hut auf dem Bild Grübler (Kat. 214) fällt es nicht schwer - wie auch vom Monographen interpretiert - Mednyánszky zu erkennen, obwohl die direkten Züge des Malers tatsächlich recht selten in seinem Œuvre auftauchen. Das Gemälde dürfte um 1912 entstanden sein. Der äußeren Erscheinung und dem Habitus nach hat Justh den Maler in den neunziger Jahren so gesehen, wie er sich später selbst darstellte und wie ihn wahrscheinlich auch jeder andere sah. Der schon als junger Mann alt wirkende Maler mag damals die gleiche Pose gehabt haben wie vor seinem Tode. Die grübelnde Haltung und das nachdenkliche Benehmen waren Mednyánszky ein Leben lang eigen: „Ich bin alt geboren, und alt sterbe ich ... Daran habe ich niemals etwas ändern wollen. Der Mensch wird mit seiner ganzen Zukunft geboren. Sein Weg ist mehr oder weniger vorgeschrieben ... Vielleicht ändern äußere Umstände ein wenig daran, viel ist es auf jeden Fall nicht ... Zum Endpunkt führt ihn nur sein Blut. Auf Erzieher habe ich nie vertraut ... Auf Menschenfreunde gebe ich auch nicht viel. Und an die Reformatoren glaube ich nicht." 9 So umschreibt Lipót Czobor seinen Fatalismus. Das ist die entmutigende Ansicht von der Erschöpfung der Rassen und der Determiniertheit des Menschen, eine weitere, nunmehr schon naturwissenschaftlich gesicherte, auf jeden Fall innerlich erlebte Wahrheit des ungarischen Schicksals. Die besten Jahre seines Lebens suchte Justh nach einem Weg, der aus diesem Verhängnis herausführen könnte. Der Schriftsteller, der mit Schopenhauer aufgewachsen und von ihm zu den Evolutionslehren von Herbert Spencer und Charles Darwin gekommen war, arbeitete an einer naiven Utopie der nationalen Errettung. Er wollte die oberste und die unterste Schicht der Gesellschaft, den Grundbesitzeradel und die Bauernschaft - im Namen und für eine ersprießlichere Zukunft der Heiligkeit des Grundeigentums - einander näher bringen. Die Gesetzmäßigkeit der Schwächung der Blaublütigen hatte er in den Pariser Salons, im „Paradies der Evolvierten", aus der Nähe beobachtet, doch als ungarischer Herr, der über bedeutenden Grundbesitz verfügte, träumte er von einer Alternative. Trotz der „décadence" pulsierte seiner Meinung nach hier auf heimatlichem Boden gesundes Bauernblut. Das Erneuerung verheißende volkstümliche Element sah Justh „in unserem Klima" in dem starken, ausgeglichenen, edel einfachen und zugleich würdevollen Charakter der Ungarischen Tiefebene. 10 Von dem Bündnis zwischen den Erbeigentümern des Bodens und den ihren treu dienenden Untertanen erwartete Justh mit seinem idealistischen Programm nicht weniger als die Rettung, die genetische und moralische Verjüngung der kranken ungarischen Gesellschaft. Der Adel und die Bauern würden berufen sein, der nach 1867 auch in Ungarn rasant aufsteigenden neuen Kraft, dem Großkapital, Einhalt zu gebie­ten. Die aristokratische Intelligenz im Kreis um Justh appellierte in diesem Programm auch an alle Angehörigen der niederen und mittleren Gesellschaftsschichten, die in Stadt und Land in den Bannkreis der kapitalisti­schen Entwicklung von Industrie und Handel geraten waren. Als Alternative der freien Marktwirtschaft, bei der soziale Spannungen und eine gesellschaftliche Explosion nicht ausbleiben konnten, entwarf sie Pläne für Hilfs- und Reformvereine oder Interessenvertretungen, übernahm Patenschaften und führte vor allem lebhafte Salondiskussionen. 11 Die Titelwahl des Romanzyklus von Justh, der nach Balzac'schem Vorbild geplant war, aber ein Fragment blieb, ist programmatisch. A kiválás genezise [Die Genesis der Auslese] enthält die typisch positivistischen Vorstellung vom Existenzkampf; die Aussage von Fuimus ist die „Ars poetica". In dieser Vergangenheitsform des lateinischen Sein-Verbs - „Wir sind gewesen" - komprimieren sich die Ahnungen des Autors vom Gang der Geschichte. Der sublimierte Wunsch „Lasst uns wieder sein" ging interessanterweise in Jusths Schaffen dem Band Fuimus voraus (siehe den als Studie zur Bauernmythologie entstandenen Novellenband Puszta könyve [Pusstabuch] und den kur­zen Roman Gányó Julcsa [Julcsa Gányó]). In den dunklen Winkeln der alten Adelsnester und der zerfallenen Burgschlösser erhält die den Gesetzen der Vererbung und Degeneration unterworfene Existenz etwas Gespenstiges, beziehungsweise wird für jene, die der Auslese durch die Entwicklung anheim fallen, zu einer gefährlichen Verurteilung. Das Gespenst selbst ist das bio­logische Schicksal. Nicht von ungefähr hat Zsigmond Justh, der in seinem Werk die Auslese als ideellen Leitfaden und die Milieu-Theorie nach Taine als schöpferische Methode wählte, gerade die Gestalt László Mednyánszkys beschrieben. Das prägende Erlebnis des Niedergangs, der die lebenden Organismen und analog dazu auch die Organisation der menschlichen Gesellschaft aufzehrt, war ihrer Klasse gemeinsam. Mednyánszky wurde zum ide­alen, typischen literarischen Helden, da er seit seiner Geburt an diesem im Roman beschriebenen Verfall lebendig beteiligt war und diesen gleichzeitig - wie der Romanautor - auch verständig interpretierte. So wurde er zu einem fiktiven Prominenten der sogenannten ungarischen konservativen Reformbewegung. 12 Zsigmond Justh, der Kopf der Bewegung, glaubte - oder wünschte zumindest - ab 1889 den ständig auf Reisen weilenden Mednyánszky an seiner Seite, außerdem den Nationalökonomen und Kulturhistoriker István Czóbel und dessen Schwester, die

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