Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Erzsébet Király: Der Maler der „düsteren Schönheit". Skizze zum romantischen Mystizismus Mednyánszkys
ERZSÉBET KIRÁLY Der Maler der „düsteren Schönheit" SKIZZE ZUM ROMANTISCHEN MYSTIZISMUS MEDNYÁNSZKYS Lascivia est nobis pagina, vita próba. 1 Vermutlich hätte auch Mednyánszky nichts dagegen einzuwenden, dass wir uns seiner Person und seinem Lebenswerk ausnahmsweise in einer toten Sprache nähern. Das kühle Ideal des Klassizismus lag ihm zwar fern, doch schrieb er seine ungarisch, deutsch und französisch formulierten Tagebucheintragungen - in Anlehnung an seinen für Antike und Orient schwärmenden Großvater mütterlicherseits, Boldizsár Szirmay - größtenteils in griechischen Buchstaben nieder. Hinter diesem ungewöhnlichen Gestus sind Bekenntnisse und Reflexionen verborgen, die es - wie die verschütteten Zeugnisse der toten Kulturen - zu entschlüsseln galt, um die lange Reihe der übrigen Rätsel um Mednyánszky anzuführen. Einige wussten schon zu Lebzeiten des Künstlers von dem „geheimen" Tagebuch, dennoch blätterten auch nach seinem Tode nicht viele darin. Es musste erst eine neue Jahrhundertschwelle überschritten werden, bis die Aufzeichnungen Allgemeingut werden konnten. 1960 wurden die ersten partiellen Textmitteilungen veröffentlicht. Jetzt sind sie, ergänzt durch weitere Korrespondenz und zeitgenössische Dokumente, fast vollständig geworden. Die „Entzifferer" haben seinerzeit und heute in ungarischem und slowakischem Sprachraum heroische Arbeit geleistet, was mit einer umfassenden Ausstellung gebührend gefeiert werden soll. Wir haben einen wertvollen Schatz und eine Primärquelle vom Ende des 19. Jahrhunderts erhalten, die für die Aufzeichnung der ungarischen Kunstgeschichte heute notwendiger als alles andere ist und die vielleicht sogar einmal von der Literaturwissenschaft entdeckt werden wird. 2 1. Der Mednyánszky der Literatur Das Mednyánszky-Tableau, das von Familienmitgliedern, Schriftstellergefährten, Freunden und Kritikern des Malers zusammengestellt wurde, war durchaus nicht armselig. Die ersten Berichte über den aus dem oberungarischen Baronengeschlecht Mednyánszky stammenden Maler kamen von Zeitgenossen. Sein persönliches Schicksal galt als tollkühnes, individuelles Abenteuer und zugleich als eine beispielhafte Mission im adlig-bürgerlichen Ungarn des 19. Jahrhunderts. Von diesem ungewöhnlichen Schicksal war sein ganzes Lebenswerk geprägt. Auf seinen Wanderungen von der Zips bis Budapest, von der Ungarischen Tiefebene bis Barbizon, von Wien bis Paris, von München bis Dalmatien und von Sizilien bis Galizien trug der Maler jenen seltenen Motivschatz zusammen, der seine Heimat mit der großen, weiten Welt verband. Durch ihn wurde die ungarische Kunst mit Bildern von monumentalen Berglandschaften, dunklen Waldinterieurs, nebligen Sumpfgebieten, mondbeschienenen Feldern und glühenden Sonnenuntergängen bereichert, ganz zu schweigen von der bis dahin von ungarischen Malern nicht entdeckten Welt der vorstädtischen Sackträger, Landstreicher, Obdachlosen und Verbrecher. Die Persönlichkeit und die Kunst von László Mednyánszky schlug viele in ihren Bann und regte ebenso viele zu belletristischen Arbeiten an. Nicht zufällig erreichten die Würdigungen oftmals den romantischen Topos, wo sie den Maler selbst zu einem Dichter werden ließen, auf den die Aufgabe einer zweiten Schöpfung wartete. So haftete Mednyánszky im rhetorischen Wortgebrauch jener Zeit die Vorstellung von einem modernen Poeten der geheimnisvollen Natur beziehungsweise von einem Poeten des Zivilisationselends an. Auf die Weise wurde er im letzten Roman von Zsigmond Justh, dem Hauptwerk Fuimus 3 , zu einer literarischen Gestalt. Die markantesten Züge seines Wesens und ihre Übernahme in die kritisch-publizistische Literatur hat der Maler überwiegend diesem 1895 gedruckten belletristischen Werk zu verdanken. Der Roman ist eine Familiengeschichte, die den Untergang des Grundbesitzeradels von Oberungarn und damit symbolisch der ungarischen Adelsschlösser überhaupt aufzeigt. Mednyánszky spielt darin unter dem Namen Lipót Czobor (Poldi) eine wichtige Nebenrolle. Er ist unter den Adligen der Rangälteste, der auch das Ausland bereist hat, und er stellt gleichzeitig das Sprachrohr für die geschichtsphilosophischen Ansichten Zsigmond Jusths dar. In seiner Welterfahrenheit und seinem theoretischen Wissen ist die gesamte schriftstellerische Intention dieses dekadenten Tendenzromans zusammengefasst. „Da öffnete sich die Tür des Salons, und Lipót Czobor, nicht eben salonfähig gekleidet, betrat den Raum. Das Hemd stand ihm am Hals offen, der Kragen wurde nur von einem dünnen Band zusammengehalten. Von Krawatte keine Spur. Sein Gehrock war voller Flecken, die Hosenbeine unten ausgefranst, der eine Schuh zerrissen, so dass schon die Zehen herausschauten. Doch wie es schien, war ihm sein Äußeres gar nicht bewusst." 4 Lipót Czobor fällt die Rolle zu, der Familie den historischen Anachronismus der Aristokratie und die Unhaltbarkeit ihrer Existenz bewusst zu machen. Die Zerlumptheit des Malers ist ein gewagter Protest gegen die Ordnung im Schloss, aber doch nur eine andere extreme, natürliche Folge des Niedergangs. Andererseits enthält sie die Möglichkeit einer neuen Lebensform, die Erlösung sein könnte und - wie der Autor hofft - auch sein wird. Es ist die Möglichkeit einer neuen Lebensnorm, die Ungebundenheit und Freiheit bedeutet. „Kann jemand prak-