Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1989-1991 (MNG Budapest, 1993)

Pieske, Christa: DAS BILD IM BILDE: „EIN MORGEN NACH DEM MASKENBALL"

Knecht" mit sich führt. Nach dem Gemälde (oder Zeichnung?) von Guérard ist es auch im „Musée des rieurs" als No. 1, lithographiert von Ledoux, erschienen 61 . Auch das Dritte der Beispiele, die Borsos so gut gekannt haben muß, gehört zu den sog. „unordentlichen Verhältnissen". Wieder wurde eine ungleiche Liebe vorgeführt, diesmal in Gestalt des jungen Müllerburschen und der ältlichen Meisterswitwe. Diese Gruppe war von François Grenier (1794— 1867) gezeichnet worden. Er hatte sich das Soldaten- und Landleben als Sujet gewählt und war mit seinen harmlosen Sentimentalitäten äußerst erfolgreich. Der Zeichner und Maler arbeitete auch für L'Artiste, Le Miroir oder L'Album. Ganze Reihen wie die der „Etudes variées" wurden von Kunstverlagen wie L. T. Neumann in Wien oder E. G. May in Frankfurt a. M., hier zwischen 1852 und 1864, reproduziert 62 . Das Blatt von Grenier, Le prude, erschien mit dem Bildtitel Ah c'soir in der gut ausgestatteten Serie „Galerie pour rire", die von Bulla Frères & Jouy in Paris ab 1849 herausgegeben wurde. Die Blätter kosteten im allgemeinen sechs Francs. Als No. 8 verzeichnet, ist sie von Régnier und Bettannier, den renommierten Lithographen der Zeit, lithographiert und mit Tonplatte gedruckt worden. Ferner wurde Le prude, 1865 in der „Galerie omnibus" durch Duriez lithographiert, von E. Jouy herausgegeben 63 . Nach der auf dem Gemälde von Borsos erkennbaren längeren Unterschrift Der Spröde scheint es sich um die Ausgabe eines deutschen Kunstverlages gehandelt zu haben. Wieviel weitere Verlage sich dieses Themas angenommen haben, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall ist es von A. H. Payne in seinem Band „Der Kunstverein" von 1847 aufgenommen worden. Danach muß die Entstehung vor dieser Zeit gelegen haben. Die bei Sammelwerken sehr übliche literarische Begleitung in Form von Erläuterungen in Prosa und Versen führte hier zu folgenden Ergüssen des Schriftstellers E. Kauffer: „Glaubt es nicht, ihr leuchtenden Augen, Daß in das Netz ihr verlockend mich zieht ; Küsse der Liebe will dort ich nur saugen, Wo mit dem Kuß nicht die Freiheit entflieht ; Rosen nicht, verwelkt und entblättert, Blüthen nur will ich, die voll Lust, Wenn in dem Haine die Nachtigall schmettert, Schwelgen an meiner jauchzenden Brust." 64 Aber Greniers Zeichnung forderte noch andere heraus: In den stark verbreiteten Hauskalendern und Almanachen wurde das gängige Bildgut der Zeit umgeformt und voller Naivität zur Illustration der vielen Kalendergeschichten benutzt. Einer der charakteristischen Vertreter dieser allgemein geübten Praxis war der Berliner Akademielehrer für Holzschnitt, Wilhelm Gubitz. Im Deutschen Volkskalender schrieb er 1850 über viele Seiten hin eine Erzählung mit dem bezeichnenden Titel „Alles benutzen hilft zu allem"! Dazu verwendete er den Inhalt von Wilkies Blind Fiddler und Greniers Der Spröde, die er auch abbildete. Dabei versäumte er nicht, in das Fenster der Mühle noch das traurige junge Mädchen zu zeichnen, das die Szene mit Bangen verfolgte 65 . Etwas später war das Motiv, nunmehr als Die verliebte Alte betitelt, auch bei den Neuruppinern heimisch. Mit der Nummer 3146 etwa um 1858 zu datieren, wies es eine veränderte Hintergrundsdarstellung auf. Sollte der ostentativ im Blickpunkt liegende Mühlstein eine Anspielung auf den Inhalt sein? Soviel Witz wäre nicht immer eine Sache der Bilderbogen, wenn sie sich auch nicht in den begleitenden Versen zurückhielten. Diese beginnen so: „Das heiß ich eine Gruppe! Ein Bursch wie eine Puppe! Voll Schalkheit noch die Alte, Hat ja noch keine Falte." Und so enden die Verse: „So mancher alter Engel Nahm so ein jungen Bengel. Doch selten that es gut, Drum seid auf eurer Hut." 66 Diese letzten Worte mit ihrer volkstümlichen Direktheit fanden sicher das volle Verständnis der Bilderkonsumenten. Man kannte ja den Zwang, die Meisterswitwe zu heiraten, um nicht den sozialen Aufstieg zu verpassen, noch weit bis nach 1860. Damit wären die erotischen Lithographien auf dem Gemälde von Borsos identifiziert. Sie haben ihre Aufgabe, Hintergründe zu durchleuchten, auf sehr eigene Weise gelöst. Sie geben aber auch Aufschluß über anderes, was nicht unmittelbar mit dem Gemälde zu tun hat. Da ist einmal die Bestätigung, daß Reproduktionsgraphik als grenzüberschreitende Materie zu einem Wirtschaftsfaktor in den Handelsbilanzen der europäischen Länder geworden war. Gerade die pikanten, vorzüglich gezeichneten, kolorierten und gedruckten französischen Lithographien waren in allen Ländern hochwillkommen. Sie

Next

/
Thumbnails
Contents