Takács Imre – Buzási Enikő – Jávor Anna – Mikó Árpád szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve, Művészettörténeti tanulmányok Mojzer Miklós hatvanadik születésnapjára (MNG Budapest, 1991)

PÖTZL-MALIKOVA, Maria: Die typologischen Wurzeln der Prager Pieta Georg Raphael Donners aus dem Jahre 1721

unter ihnen auch ein Stich Albrecht Dürers - die Miche­langelo ursprünglich auf diesen Typus aufmerksam ge­macht haben. Die Beziehung zur mittelalterlichen Com­passio Fatris ist am direktesten in der sog. Pietà Palestrina der florentinischen Akademie zu sehen, während z. B. in der Pietà des florentinischen Domes schon eine weitere Entfer­nung von diesem Typus und auch andere Einflüsse zu kon­statieren sind. 9 Der in sich zusammengebrochene, leblose Körper Christi und die mit ihm eng verbundene, im Schmerz erstarrte Mutter und weitere Begleitpersonen drücken Com­passio und Deposition gleichzeitig aus. In ihrer heroischen, aber auch düsteren Tragik, die den mittelalterlichen Vorbil­dern fremd ist, sind diese Pietàs ein höchst persönlicher Ausdruck von Michelangelos Kunst. In der weiteren Entwicklung bleibt dieser Typus mit Mi­chelangelo verbunden. Auch auf die Darstellung einer „Compassio Patris", die zwar weiterlebte, aber immer mehr an Bedeutung verlor, übten Michelangelos Werke rückwir­kend einen Einfluß aus, wie das die großartige „Trinität" von El Greco im Prado beweist. 10 Ein anderes Thema, bei dem sich diese Komposition durchgesetzt hatte, ist die so­genannte Engelpietà, in der statt Gottvater ein großer En­gel dem toten Christus unter die Arme greift. Bei den Pieta-Darstellungen war Michelangelos Einfluß ebenfalls weiter wirksam. In Anlehnung an seine vertikalen Kompositionen entstand in Italien ein selbständiger Typus, der diesen Einfluß mit der traditionellen Darstellungsweise einer Pietà verknüpfte. Der Körper Christi ruht hier auf einem Knie Marias, sein Abgleiten wird durch stark abgewinkelte Beine, die sich gegen den Boden stemmen, abgefangen. Der Abstand zwischen den Köpfen ist merklich größer geworden, der Aus­druck konzentriert sich auf die von Schmerz gezeichnete Maria, die die Mitte und den Höhepunkt einer im steilen Dreieck komponierten Gruppe bildet. Dieser Typus, an den G. R. Donner angeknüpft hatte, 12 wurde im Barock auch außer­halb Italiens bekannt, wie dies eine „Beweinung Christi" aus Aabaster des Lütticher Jean del Cour aus den Jahren 1680/1700 beweist, 13 eine breitere Resonanz hat er aber nie erreicht. Am Anfang des 17. Jahrhunderts hatte der Mailänder Maler Daniele Crespi in seinem Pieta-Gemälde, das für Spanien bestimmt war, eine neue Variante dieses Typus geschaffen, die dem barocken Naturalismus wohl mehr entsprach. Christus liegt nicht mehr in einem etwas un­natürlichen Balanceakt im Schoß der Mutter, sondern sitzt mit eingezogenen Beinen auf der Erde, neben Maria, die ihm mit beiden Händen unter die Arme greift. Das Kompositionsschema hat sich noch mehr von Michelange­lo entfernt, gewonnen wurde aber wieder ein eindrucks­voller, monumentaler Aufbau der Szene, die zwar streng komponiert ist, aber eine Natürlichkeit besitzt, die dem vorausgegangenen manieristischen Konzept fehlt. An Crespi orientierte sich Ribera in seiner Pietà, die nur wenige Jahre später, 1634 in Neapel entstand und für die Kirche der Augustiner Eremiten is Salamanca bestimmt war. 15 Sein Bild ist merklich pathetischer als jenes von Crespi. Statt zu sitzen kniet hier Christus auf der Erde und wird von der hinter ihm stehenden Madonna an bei­den ausgebreiteten Armen gehalten. 16 Die Kompositionen beider Maler wurden bald nach ih­rer Entstehung öfter kopiert, und ihr Einfluß ist später auch nördlich der Apen bei verschiedenen provinziellen Meistern zu finden, die sie wohl aus graphischen Repro­duktionen kannten. 17 Eine wirkliche Popularität hatten aber auch diese barocken Varianten des alten Typus nicht erreicht, vor allem nicht bei den führenden Künstlern des 17. und 18. Jahrhunderts. Den allgemein verbreiteten Typus zu schaffen ist Correggio und nach ihm Annibale Carracci gelungen. Es war eine horizontal komponierte Darstellung, bei der der tote Christus auf einem Leichen­tuch auf der Erde liegt und sich nur mit dem Kopf oder mit den Schultern an die seitlich von ihm sitzene Maria anlehnt, die meist von Assistenzfiguren, wie Johannes, Maria Magdalena oder Engeln umgeben ist. 18 Nach der hier untersuchten Entwicklungsgeschichte des von Donner gewählten Typus für seine frühe Pietà, müs­sen wir konstatieren, daß er die barocken Ausprägungen dieser Komposition, die von den „kleineren" Meistern noch am Anfang des 18. Jahrhunderts weitertradiert wur­den, außer acht gelassen und eine ältere Darstellung auf­gegriffen hat, die im Cinquecento unter Einfluß von Mi­chelangelo entstanden war. Welches Werk ihm dabei als direktes Vorbild gedient und wie er zu ihm Zugang gefun­den hatte, wissen wir nicht. Vielleicht war es eine kleine Pietà, die er irgendwo in einer privaten Sammlung zu Gesicht bekam, vielleicht sah er diese Komposition auf einer Studienreise - möglicherweise in Venedig, wo in der Kirche Sta Maria del Giglio eine Marmorpietà aus dem 16. Jahrhundert, die G. Dal Moro zugeschrieben wird und dem Donner-Werk sehr nahe steht, noch heute zu sehen ist. 19 Solche Rückgriffe auf die italienische Kunst des Cinquecento sind bei Donner keine Ausnahme, son­dern auch in seinen weiteren Werken zu finden. Sie überschreiten das übliche Ausmaß zufälliger Zusam­menhänge und müssen als eine bewußte Ausrichtung des Künstlers betrachtet werden. Gerade diese im spätbarocken Wien ungewöhnliche Orientierung hebt das Werk Donners von der mitteleuropäischen Kunst seiner Zeit ab und verleiht ihm seinen unverwechsel­baren Charakter.

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