Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1980-1988 (MNG Budapest, 1989)

R. Várkonyi, Ágnes: VARIATIONEN ÜBER DIE UNGARISCHE GESCHICHTE: DIE BILDER DER AUSSTELLUNG. UNGAR 1526-1790

auch die Interessen des Königreichs und Siebenbürgens aufgenommen würden, und Ungarns Verhältnis zur Habsburgerdynastie auf dem Wege internationaler Vermittlung, mit europäischer Garantie geregelt würde. Der neue ungarische Staat baute während der Kriegsjahre zu allen kriegführenden Ländern seine Beziehungen aus. Die Formen sind vielfältig. Mit Ludwig XIV. hielt Rákóczi die Verbindung durch regelmäßige Korrespondenz, durch Gesandte und durch einen ständigen französischen Residenten am fürstlichen Hof aufrecht. Zar Peter der Große schloß 1707 ein Bündnis mit Rákóczi; mit dem Schwedenkönig Karl XII. wurden Gesandte ausgetauscht. In Polen wurden Rákóczis Pläne durch eine starke französische Partei, in Preußen durch eine Kirchengemeinde unterstützt. Das Hauptziel des Fürsten, die Konföderation der kleineren Länder im östlichen Mitteleuropa, erwies sich als nicht realisierbar. 67 Starke Chancen auf eine garantierte Einigung, auf Anerkennung der Staatlichkeit des Königreichs und Siebenbürgens im Rahmen des allgemeinen Friedens gab es aber von Seiten Englands und Hollands. Die beiden Seemächte hatten zur Finanzierung des Spanischen Erbfolgekrieges ihrem Verbündeten, der Habsburger-Administration, erhebliche Kredite gewährt, und hätten gern die als Sicherung des Kredits gebotenen Einkünfte aus den ungarländischen Kupfer- und Quecksilberminen bekommen. Die protestantische Öffentlichkeit der beiden Länder jedoch unterstützte immer lautstärker die Sache des Staates des mit dem Naturrecht argumentierenden Rákóczi. Die englische Königin Anna entsandte zusammen mit Holland bereits 1706 ihre Unterhändler, Lord George Stepney und Jacob Jan Hamel-Bruyninx, nach Ungarn, damit sie das Verhältnis des neuen ungarischen Staates zur Habsburger­Administration mit internationalen Garantien regeln sollten. Die Friedensverhandlungen von Nagyszombat (Tyrnau) führten aber zu keinem Erfolg. Im August 1710 begann Rákóczi angesichts der in ganz Europa verbreiteten Kriegsmüdigkeit und der um die Pestepidemie erschwerten Verhältnisse in Ungarn, unter Gebrauch des Vermittlungsangebots von England und Holland und im Vertrauen auf die Garantieversprechen von Frankreich und Rußland mit den Friedensverhandlungen. Er beauftragte den Oberbefehlshaber der ungarischen Armee, Sándor Károlyi, mit dem Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen in Ungarn, János Graf Pálffy, vorbereitende Verhandlungen aufzunehmen. Prinz Eugen von Savoyen verwarf jedoch das Prinzip von Verhandlungen auf Staatsebene, und da er wegen des unerwarteten Todes Josephs I. die Interessen von Dynastie und Reich gefährdet sah, brachte er Ende April 1711 eine Vereinbarung zwischen Pálffy und Károlyi zuwege. Rákóczi und sein Regierungskreis hatten bereits während der Verhandlungen ihren Sitz nach Polen verlegt. Viele nahmen die Vereinbarung, in der den Angehörigen des Hoch- und niederen Adels Straffreiheit und die Rückgabe ihrer wegen Untreue konfiszierten Güter zugesagt wurde, an; andere hielten zu Rákóczi. Da dieser die Vereinbarung als eine Waffcnniederlcgung betrachtete und die Interessen des Landes durch eine Vereinbarung zwischen Herrscher und Untertanen nicht gesichert sah, ging er nach Frankreich, setzte nach den europäischen Friedensschlüssen (Utrecht-Rastatt) seine Hoffnung auf die Erneuerung des Krieges zwischen Habsburg und der Türkei (1716—1718) und fuhr mit dem Schiff, auch von spanischer und französischer Seite ermuntert, in die Türkei. wo ihm nach dem Frieden von Passarowitz in Rodostó Asyl gewährt wurde. 68 In dieser ersten größeren Emigration der ungarischen Geschichte lebten, zerstreut auf Polen, Frankreich und die Türkei, mehrere Aristokraten und Adlige bis zu ihrem Tode. Einer von ihnen, der junge László Graf Bercsényi, machte eine glänzende militärische Karriere und stieg als Marschall von Frankreich zu einem namhaften Kriegsherrn seiner Zeit. Nach 1711 gehörte Ungarn bis 1848, in den entscheidenden anderthalb Jahrhunderten der Vorbereitung der bürgerlichen Entwicklung, zum System des Habsburgerrciches. Als prinzipielle Grundlage der Zusammengehörigkeit diente der Kompromiß der Dynastie mit den ungarischen Ständen. Dessen praktisch-organisatorische Form wurde von Karl III. (1711—1740) und dem ungarischen Landtag im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts ausgearbeitet. Mit der Ratifizierung der Pragmatischen Sanktion, des Gesetzes über die weibliche Erbfolge des Hauses Habsburg, wurde auch ausgesprochen, daß die Regierung Ungarns und der Erblande unteilbar und untrennbar ist. Das Königreich, die in den südlichen Gebieten herausgebildete Militärgrenze und das Fürstentum Siebenbürgen — letzteres ab 1767 als Großfürstentum — wurden jeweils für sich den zentralen Regierungsorganen unterstellt. Außenpolitik und Wirtschaft waren gemeinsame Angelegenheiten. Das Verteidigungssystem Ungarns ist mit dem des Reiches vereinheitlicht. Die ständige Armee wurde aber 1715 erst nach heftigen Kämpfen unter der Bedingung vom Landtag angenommen, daß neben der regulären Armee des Reiches auch die Institution der Adelsinsurrektion erhalten bleibt. Zur zentralen Regierung des Landes wurde eine neue Behörde, der Statthalterrat, ins Leben gerufen (1724). Ungarns innere Veränderungen, in Wechselwirkung mit den in Westeuropa und den Ländern der Habsburger vor sich gegangenen Veränderungen verlangten aber bereits um die Mitte des Jahrhunderts neue Regierungsprinzipien und eine modernere Verwaltungspraxis. Unter der Herrschaft Maria Theresias (1740—1780) forderten die auch wegen des Vordringens Preußens und der großangelegten wirtschaftlichen Expansion der westeuropäischen Länder ausgebrochene Krise des Reiches sowie der Österreichische Erbfolgekrieg (1740—1748) und der Siebenjährige Krieg (1756—1763) innere Reformen. Der Adel der österreichischen Erblande zahlte ab 1749 Steuern. Der ungarische Adel hingegen hielt an seinem Privileg der Steuerfreiheit fest, nicht zuletzt wegen der diskriminierenden Zollverordnung (1754): die Wirtschaftspolitik, die den Interessen der österreichischen Länder und der erstarkenden Bourgeoisie diente, schränkte die Entwicklung der ungarischen Industrie und des Handels ein, und so lehnten die ungarischen Stände die Steuerreform der Königin ab (Landtag von 1764—1765). Von 1765 an regelte die mit den Methoden des aufgeklärten Absolutismus herrschende Monarchin die Urbarialverhältnisse im Königreich (1767), modernisierte das Gesundheit- und das Bildungswesen, gründete aus 120 Söhnen des niederen Adels eine ungarische Leibgarde und schloß Fiume Ungarn an. Die gutgemeinten, aber mit den wirklichen Verhältnissen und den tatsächlichen Interessen der Völker Ungarns weniger rechnenden Reformen Kaiser Josephs II. stießen bereits auf heftigen Widerstand. Der Widerruf der Reformen aber drückte aus, daß Ungarns innere Verhältnisse in alter Einheit mit den Interessen des Reiches nicht geregelt

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