Technikatörténeti szemle 22. (1996)
Papers from the Second International Conference on the History of Chemistry and Chemical Industry (Eger, Hungary, 16–19 August, 1995) - Engel, Brita: Zwischen Industrie und Umweltschutz: Konrad Wilhelm Jurisch (1846–1917)
Wie so oft im 19. Jahrhundert ist dies eine Philosophie auf wirtschaftswissenschaftlicher Basis; sie geht aus vom Menschen als Produzenten von Werten. Die Erfahrungen in Widnes - einer kleinen Stadt mit Schwerindustrie, 20 km entfernt von Liverpool, noch stark beeinflußt vom ausgehenden Manchesterkapitalismus -, der Vergleich mit Industriebedingungen in Frankreich und Deutschland haben sicherlich sein Interesse an wirtschaftsphilosophischen und sozialpolitischen Fragen geweckt. Die „Philosophie der Kultur" ist mit Herzblut geschrieben, aber mitnichten im jugendlichen Überschwang, denn Jurisch ist beim Erscheinen der Schrift schon ein Mittvierziger. Eher macht das Werk den Eindruck, er wolle eindrucksstarke, vielleicht auch traumatische Erfahrungen zweier Jahrzehnte verarbeiten. Jurisch entwickelt seine Gedanken auf der Grundlage des „Essay on the rates of wages" (1835) von Henry Charles Carey und der „Harmonies économiques" (1850) von Frédéric Bastiat. Er orientierte sich also an zwei Autoren, die eher optimistische und harmonistische Wirtschaftstheorien entwickelt hatten und damit die Grundlagen einer frühen „sozialen Marktwirtschaft" zwischen Kommunismus und rigidem Kapitalismus skizzierten. Diesen Ansatz will Jurisch verwissenschaftlichen, indem er versucht, ihn berechenbar zu machen. Seine Erfindung, er nennt sie „Entdeckung", ist eine „Maßzahl", die, vom einzelen Menschen über Produktionsgruppen und Nationen bis hin zur ganzen Menschheit, den „Grad" der Industrie angibt, die für ihn Grundlage aller gesellschaftlichen Entwicklung ist. Durch allerlei Berechnungen sollen auch der Grad der Sittlichkeit, das Zivilisationsgesetz und daraus die gesetzmäßige Entwicklung der Kultur, ja auch die schöpferische Kraft und dereinst vielleicht ein Maß der Liebe graphisch darstellbar werden, das Problem der Unsterblickeit soll lösbar und Kriege sollen durch die Berechnungen überflüssig werden. Die „sittliche lebendige Kraft des ganzen Volkes" ließe sich als Kurve veranschaulichen, und da jeweils deren „ganze Wucht" hinter jedem einzelnen Soldaten stehe, „so würden Kriege in Zukunft zu einer Absurdität werden. Denn man könnte stets voraus berechnen, welche Partei Siegerin bleiben würde, also wozu sich noch erst dazu totdschlagen lassen?" 11 Mit Hilfe der Maßzahl sollen wirtschaftliche Entscheidungen rational getroffen werden können Beim ersten Lesen wollte mir diese wunderbare „Jurisch'sche Maßzahl" recht einfältig erscheinen. Doch hat sie gegenüber dem „Bruttosozialprodukt" doch immerhin den Vorteil, daß sie sich an den Einkommen und vor allem an deren Verteilung orientiert - sie ist also vergleichsweise differenziert, bloße Wertsteigerungen oder zu rasche Gewinnzunahmen werden hier als „krankhafte Erscheinungen" deutlich.