Budapest Régiségei 30. (1993)

Harl, Ortolf: Die Stellung der Frau bei den einheimischen Stämmen Nordpannoniens : eine sozial- und kunstgeschichtliche Studie = A nő helyzete Észak-Pannónia bennszülött törzseinél 7-37

Stamm zu Stamm und munterte ihre Landsleute auf: Die Britannier seien es gewöhnt, unter der Führung von Frauen in den Krieg zu ziehen Jetzt wolle sie aber nicht als Sproß hoher Ahnen, sondern als Frau aus dem Volke an den Römern Rache nehmen. In Britannien hatten die Römer neben einer ge­fährlichen Gegnerin auch eine wichtige Verbündete: Als Claudius Mühe hatte, die römische Herrschaft auf der eroberten Insel zu festigen, lieferte die Briganten­königin Cartimandua den gefährlichen Widersacher Caratacus, der in ihren Machtbereich geflüchtet war, den Römern aus. Daß mit Cartimandua nicht zu spaßen war, mußte sogar ihr Prinzgemahl Venutius er­fahren. Denn nachdem er sich mit seiner königlichen Gemahlin überworfen hatte und in der Nachfolge des Caratacus gegen sie und gegen die mit ihr verbünde­ten Römer einen Aufstand entfachte, da gelang es ihr auf listige Weise, einige seiner Familienmitglieder in ihre Gewalt zu bringen. Sie sah den Gegenschlag ihres ehemaligen Gatten voraus und erwirkte von den Rö­mern einen Militäreinsatz, der ihr den Sieg brachte. Wie befremdlich der Eindruck, den die Existenz von britannischen Königinnen auf die Römer mach­te, in der Tat war, brachte Tacitus zum Ausdruck, als er nach Abschluß des Britannienfeldzuges den Triumph des Claudius im Jahre 43 beschrieb. Da huldigten Caratacus und seine Familie, denen Clau­dius das Leben geschenkt hatte, auch der auf der Tribüne unweit vom Kaiser sitzenden Agrippina: In den Augen der Römer sei es - so Tacitus - novum sane et moribus vetenim insolitum, feminam sig/iis Romanis praesidere. Die gar nicht so wenigen Zitate aus den antiken Schriftstellern reichen aus, um uns klarzumachen, daß den Frauen bei den Kelten nicht nur eine gewichtige politische Rolle, sondern sogar die Führung von Stäm­men übernehmen konnten. Sogar in der Schlacht traten sie offensichtlich „gleichberechtigt" an die Seite der Männer. Denn daß allgemein die Frauen der Gal­lier ebenso kampflustig wie die Männer sind, berichtet Ammianus Marcellinus mit blumigen Worten , wie auch von anderen Autoren den keltischen Frauen Mut, Stärke und Autorität in Streitfragen eingeräumt wird. Diese positiven Eigenschaften der gallischen Frauen werden in den Augen der Römer durch Schminksucht und Geldgier beeinträchtigt. Rankin spricht daher von einer „balance of the functions of 1 Í men and women in society". Für unser Thema ist besonders wichtig, daß nach Caesar das eheliche Grundvermögen der Gallier auf gemeinsame Rechnung verwaltet wird und daß nach dem Tod des einen Ehegatten dem Überlebenden ­also auch der Frau - das Vermögen mit allen aufge­laufenen Zinsen zufalle. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß die Keltin in Vermögensfragen mehr mit­zureden hatte und selbständiger auftreten konnte, als ihre römische Geschlechtsgcnossin. Die Nachrichten zeichnen also - trotz aller Gefah­ren, die in derlei Verallgemeinerungen enthalten sind - ein relativ deutliches Bild von einer keltischen Frau, die im politischen, wirtschaftlichen, ja sogar militäri­schen Bereich selbstbewußt auftreten und „ihren Mann stellen" konnte. Die Analyse der Frauenbestattungen Wichtige Ergänzungen der antiken Nachrichten lassen sich aus der Analyse der Gräber gewinnen, da man davon ausgehen kann, daß sich die Verhältnisse der Lebenden in der Ausstattung der Gräber spiegeln. So erhielten von der Hallstattzeit an außergewöhnliche Frauen besonders reich ausgestattete Gräber. Das gilt für die „Dame von Vix", der neben kostbarem Schmuck auch Insignien ins Grab gelegt wurden, die die Machtstellung der Verstorbenen demonstrieren , ebenso wie für die süddeutschen Fürstengräber. Wenn man aus den Gräbern des 6. bis 4. Jahrhunderts vor Christi auf die damaligen Lebensumstände zurück­schlicßen darf, so gewinnt man den Eindruck, daß die keltische Frau bis auf das Tragen von Waffen mit ih­rem männlichen Partner gleichberechtigt war. Wenn in der Ausstattung anscheinend keine Unterschiede zwischen Männer- und Frauengräbern bestanden, so hat es doch einen sichtbaren Unterschied zwischen Mädchen- und Frauengräbern gegeben: Denn ein Mädchen dieser Zeit trug, bevor es in die Gesellschaft der Frauen aufgenommen wurde, anderen Schmuck. Da wir aus der spätkeltischen Zeit kaum Gräber ken­nen, lassen sich diese Beobachtungen leider nicht bis in jene Phase verfolgen, die der römischen Okkupa­tion unmittelbar vorausging. Blicken wir also auf die Ergebnisse unserer Suche nach schriftlichen und archäologischen Informationen, so dürfen wir feststellen, daß die Quellen zur Rolle der Frauen in der keltischen Gesellschaft des Westens noch relativ munter fließen, für die Kelten des Ostal­penraumes und des späteren Pannonién aber spärlich. Unsere einzige Information aus diesem Gebiet stammt wiederum von Caesar. Dieser schildert die Niederlage des Ariovist im September des Jahres 58 v. Chr. und seine schmähliche Flucht über den Rhein zurück ins Gcrmanenland in einem vorsorglich bereit gestellten Boot. Auf dieser Flucht, so Caesar, seien auch die bei­den Frauen des Ariovist umgekommen. Die eine sei Norica gewesen, die Schwester des Königs Voccio, die dieser dem Ariovist geschickt hatte. Daß dies eine politische Heirat war, liegt auf der einen Hand, daß diese einzige literarische Notiz über eine ostkeltische Frau nicht zu dem oben dargestellten Bild paßt, auf der anderen. Da wir aber über Voccio, seine Schwe­ster und die damaligen machtpolitischen Verhältnisse bei den Ostkeltcn überhaupt nichts wissen, können wir diese isolierte Nachricht nicht bewerten. Auch wenn Caesar und die anderen Mittelsmänner der Antike im Ostalpenraum nichts berichtenswertes finden, so ist die Situation nicht so aussichtslos, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn die Römerzeit hält für uns eine reich fließende Informationsquelle bereit: Die Grabsteine der im Norden Pannoniens an­sässigen einheimischen Bevölkerung, der Boicr, Aza-

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