Budapest Régiségei 30. (1993)

Harl, Ortolf: Die Stellung der Frau bei den einheimischen Stämmen Nordpannoniens : eine sozial- und kunstgeschichtliche Studie = A nő helyzete Észak-Pannónia bennszülött törzseinél 7-37

durch das „Nebenbild" ergänzt wird. Dies muß ich als Arbeitshypothese im Raum stehen lassen, denn im Grunde nehme ich vorweg, was eigentlich erst zu be­weisen wäre. Totenopfer Fast alle Stelen mit der Darstellung eines Ehepaares (Nr. 20, 23, 58, 76) besitzen als Nebenbild ein Toten­opfer, das bei Nr. 58 und 39 mit einer Wagenfahrt und bei Nr. 20 mit Wagenfahrt und Reiter kombiniert ist. Sonst begegnet das Totenopfer nur mehr auf Nr. 39, wo für den Opferdiener anscheinend kein Platz mehr vorhanden war. Wagenfahrt Sie ist mit elf Beispielen eindeutig das häufigste Motiv der Nebenbilder. Es ist immer ein Zweigespann, das einen Plateauwagen oder Planenwagen zieht, stets lenkt ein Kutscher, hinter dem mindestens eine wei­tere Person sitzt, die, soweit sie die Beschreibung er­wähnt oder auf dem Photo zu erkennen ist, stets weib­lich ist (lediglich auf Nr.*62 fehlt die Beifahrerin). In keinem Fall sind transportierte Güter zu sehen. Da die Wagenfahrt gleich sechsmal auf Grabsteinen vor­kommt, die einer Frau mit Filiation allein errichtet wurden (Nr. 10, 39, 62, 73, 75, 94), scheint sie vorwie­gend der weiblichen Sphäre anzugehören. Wenn aber nun Frauen, wie hinreichend gezeigt worden ist, Geld und Gut besitzen konnten, so wird man nicht umhin­können, die Wagenfahrt als spezifisch weibliche Tä­tigkeit zu deuten, nämlich als Beaufsichtigung der Gü­ter. Dieses Ergebnis wird durch den Grabstein Nr. 20 gestützt und erweitert. Der Stein wurde von der Ehefrau mit Filiation für ihren verstorbenen Ehemann mit Filiation gesetzt, die Nebenbilder zeigen Totenop­fer, Reiter und Wagenfahrt. Da der Mann einen ein­heimischen Namen trägt und dazu mit 40 Jahren, in einem Alter also, wo Männer im Allgemeinen noch nicht aus dem Militär entlassen worden sind, gestor­ben ist, kann der Reiter keinen Bezug zum Militär her­stellen und muß daher aus dem Zivilleben des Ver­storbenen erklärt werden. Wahrscheinlich hat sich dieser gemeinsam mit seiner Frau um die Aufsicht über das Gut gekümmert: Er zu Pferd und sie per Wagen - eine ganz alltägliche Beschäftigung für die Eigentümer eines Landgutes und sozial eindeutig de­terminiert. Neben den übrigen Darstellungen der Wagen­fahrt (Nr. 48, 58 —14, 84) sei noch Nr. 19 erwähnt, wo zur Wagenfahrt noch landwirtschaftlich - jagdliche Geräte treten: Hacke, Flasche, Beutel, Speer. i Reiter Reiter werden nur zweimal abgebildet, die Nr. 20 wur­de im vorigen Kapitel besprochen. Die interessanteste, aber am schwierigsten zu ver­stehende Darstellung ist Nr. 47 (Abb. 3). Bei der Wer­tung des Steines habe ich vorgeschlagen, die beiden Reiter mit ihren eigenartigen Gewändern nicht als männlich zu identifizieren, weil sich dadurch kein Zu­sammenhang mit dem Hauptbild und der Inschrift er­gibt, sondern als die beiden Damen selbst. Wenn man dies einmal akzeptiert hat, dann tut man sich auch leichter, die ausgefallenen Gewänder zu verstehen, nämlich als einen bisher noch nicht bekannten Reit­dress für hochgestellte Frauen, bestehend aus einem Mantel mit langen Zipfeln und natürlich Hosen, die ein adäquates Reiten im Herrensitz ermöglichten. Die beiden Damen müssen, wie ihr reicher Armschmuck, der vom Quadenkönig Vannius entlehnte Vatersname der Verstorbenen und die auf dem Grabstein genann­te, noch lebende Schwiegermutter bezeugen, eine be­sonders hohe Stellung innegehabt haben. Ihr Reiten ist nicht rustikale Tätigkeit, sondern adeliger Zeitver­treib. Ihr Selbstverständnis leitet sich aus jener Adels­schicht her, die in der ausgehenden Keltenzeit Mün­zen geprägt hat: Beide Damen definieren sich durch ihre enge Beziehung zum Pferd. Der Stein ist jedenfalls ein Unikat und wird sicher noch weiterhin Diskussionsstoff liefern. Wenn es mir gelungen sein sollte, das Selbstbe­wußtsein zu artikulieren, mit dem uns die nordpanno­nische Adelige - trotz der unbeholfenen Steinbearbei­tung - in Bild und Text entgegentritt, dann habe ich mein Ziel erreicht. Dennoch befriedigt mich das Er­gebnis der Arbeit nicht ganz. Denn die in der Archäo­logie übliche und auch hier angewandte Methode, das gesamte zum Thema passende Material zusammenzu­stellen und auszuwerten, ähnelt dem Autoverkehr in einem System von Einbahnstraßen: Jeder fährt dem anderen nach und alle hoffen, daß die Richtung stimmt. Denn, um die Frage nach der Rolle der Frau befriedigend zu beantworten, wäre auch die Gegen­frage zu stellen - die «ach der Rolle des Mannes in dieser Gesellschaft. Dies ginge allerdings weit über die Absicht dieses Beitrages hinaus, der lediglich auf eine vernachlässigte Menschen- und Fundgruppe aufmerk­sam machen wollte. Da eine wissenschaftliche Arbeit mindestens sovie­le Fragen aufwerfen sollte, wie sie löst, möchte ich mit einer Frage schließen, die sich schon bei der Materi­alsammlung aufgedrängt hat: Wo sind eigentlich die Männer dieser Gesellschaftsschicht geblieben? Man würde erwarten, daß den vielen Grabsteinen für Frau­en eine wenigstens annähernd gleiche Zahl von Män­nergrabsteinen gegenübersteht. Das ist, wie jeder Blick in einen CSIR oder RIU - Band bestätigt, aber nicht der Fall gewesen. Schlägt sich im Zurücktreten des männlichen Elements vielleicht der Überrest eines prähistorischen Matriarchats nieder, für den H. D. • 98 • Rankin in der nachantiken Mythologie der nordbri­tannischen und irischen Kelten Ansätze zu finden glaubt? Waren die einheimischen Frauen vielleicht gar solche Drachen, daß ihre Ehemämer bzw. Kindersvä­ter die Flucht ergriffen? Oder war es schlicht und ein­fach der Dienst in den römischen Hilfstruppen, der 27

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