Nyelvtudományi Közlemények 73. kötet (1971)
Tanulmányok - Schiefer, Lieselotte: Zur Funktionsverschiebung des Numeruszeichens im Ostjakischen - 409
410 LIESELOTTE SCHIEFER (14) Vj. jey jokdnatdt 'sie (sind) zu-Hause-PL' (d. h. 'sie sind zu Hause') KT 143a (15) Vj. jd kömdnätdt 'sie (sind) draussen-PL' (d. h. 'sie sind draussen') KV 171 (16) Trj. Ae kemdnt 'sie (sind) draussen-PL' (d. h. 'sie sind draussen') KV 263 (17) Ko. %öjit tötit 'wer-Pl. (sind) dort-PL' (d. h. 'welche sind dort') OV 27 Die eigentümliche Rolle des Numeruszeichens in diesen Sätzen springt ins Auge. Es zeigt in allen Fällen die Zahl an, wie gewohnt. Es zeigt aber in allen Fällen auch, contra grammaticam, eine falsche Zahl an. Denn (Satz 1:) 'sie-beide' befinden sich ja nicht auf zwei Wiesen, sondern auf einer; (Satz 2:) 'sie-beide' befinden sich auf einem Hof, nicht auf zwei etc., etc. Das Numeruszeichen übt also keineswegs Numerusfunktion aus. Nach Eintritt einer Funktionsverschiebung spielt es nicht mehr eine materielle, sondern eine formelle Rolle. Es dient einzig und allein der Kongruenzschaffung. Aber es schafft eine ,,falsche Kongruenz", um einen Terminus von GEORG VON DER GABELENTZ zu gebrauchen2, der in diesem Zusammenhang noch auf folgende Erscheinungen verweist: „Dahin gehört es, wenn in deutschen Mundarten die Conjunction die Personalendungen der Conjugation annimmt: ,,obst Du hergehst! dassen wir kommen" usw. Beiläufig bemerkt, bietet das Nama-Hottentottische eine ganz ähnliche Erscheinung, Congruenz der Conjunction mit dem folgenden Subjecte. (J. C. WALLMANN, Die Formenlehre der Namaquasprache. Berlin 1857. S. 29). Und das Gleiche findet im Koptischen und im Somali statt. Dahin gehört ferner die Übertragung der Conjugationsendung der 3. Person Plurális auf die entsprechenden Pronomina im Italienischen: eglino, elleno = Uli, illae> entsprechend hanno, sie haben, vogliono, sie wollen, u. s. w. Denkbar ist es, obschon ich die Tatsache nicht nachzuweisen wüßte, daß auf diese Weise schließlich die Formenelemente von dem Redet>heile, dem sie urspünglich zukommen, — in unseren Beispielen dem Verbum, — gänzlich auf einen anderen überspringen, daß etwa, wie im Annatom, das Verbum aller Temporal- und Modalformen entkleidet, und das Pronomen damit belastet würde. Man könnte dann von einer Umladung der Formativa reden. Die Tragweite einer solchen würde einleuchten: die Redetheile, damit der ganze Satzbau, damit der ganze Sprachbau, die äußere wie die innere Form, wären verschoben, verrenkt, entstellt, vielleicht auch metamorphisch verjüngt."3 Wenn nun aber, wie gezeigt, das Numeruszeichen keine Numerusfunktion ausübt, dann vermag es auch nicht ,,ein Adverb in den Plural treten zu lassen". Daher ist es sachgerechter, mit GERHARD GANSCOW beispielsweise im Satz 16 kemdnt als Prädikat anzusehen, das weiter in einen „lexikalischen Bedeutungsträger" (nämlich kernen) und in einen „syntaktischen Bedeutungsträger" (nämlich Pluralzeichen -t) zu analysieren ist.4 LIESELOTTE SCHIEFER 2 GEORG VON DER GABELENTZ, Die Sprachwissenschaft, 2. A., Leipzig, 1901, S. 214-3 Diese Stelle zitiert JÓZSEF BALASSA in NyK 23 (1893), S. 476, sowiet sie mit der 1. Auflage übereinstimmt, und fügt Beispiele aus dem Ungarischen hinzu. 4 GERHARD GANSCHOW, Wege zur Strukturbeschreibung des einfachen Satzes im Ostjakischen, Symposion über Syntax der uralischen Sprachen, Göttingen 1970, S. 65—79 (S. 70).