Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

TISCHER, Anuschka: Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga: Quellen zur transnationalen Geschichte einer savoyisch-österreichischen Adelsfamilie und ihres Umfelds vom 15. bis zum 20. Jahrhundert

umfangreichen Bibliothek Bellegardes38, der er auch in unruhigen Situationen noch seine ganze Sorgfalt widmete.39 Dieser Katalog ist ein Dokument, mit dem nicht nur der Biographie des Militärs und Politikers Bellegarde eine intellektuelle und kulturelle Facette hinzugefugt werden kann, sondern aus dem sich der geistige Hintergrund eines hochrangigen Vertreters der Alten Ordnung vor dem Hintergrund von Französischer Revolution und Restauration rekonstruieren ließe. Die Bellegarde blieben im 19. Jahrhundert im Hofdienst vor allem der österreichischen Kaiserinnen. Eine Gräfin Bellegarde, Hofdame Kaiserin Elisabeths, fand so als eine der Hauptrollen Eingang in die „Sissi“-Filme. In den Rigaer Akten findet sich aus dieser Tätigkeit der Bellegarde immerhin ein eigenhändiges Schreiben der Witwe Kaiser Franz’ I., Caroline Auguste, aus Salzburg von I860.40 Eine herausragende Rolle spielten die Bellegarde nun wiederum nicht mehr. Sie scheinen sich schließlich mehr und mehr auf ihr neues Gut Groß-Herrlitz zurückgezogen zu haben. Der letzte männliche Bellegarde dieser Linie starb mit Graf Franz 1941, der als Hauptmann im Krieg fiel. Seine Tanten, die Gräfinnen Marie und Elisabeth von Bellegarde, die das Gut seit 1929 bewirtschafteten, flüchteten 1945 mit ihrer Mutter Marie, einer geborenen Prinzessin Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein, nach Bayern, wo diese 1960 starb.41 Die jüngsten der Bellegarde-Akten sind K. Liedauers handschriftliche Chronik von Groß-Herrlitz von 190742 und anonyme handschriftliche „Beiträge zur Geschichte der Gutsherrschaft Groß-Herrlitz“ von 1936, die der älteren Gräfin Marie gewidmet sind.43 Der Natur der Sache nach liefern sie weniger Informationen zur Geschichte der Bellegarde, die erst relativ kurz Besitzer des Gutes waren. Einiges findet sich zur Geschichte der Vorbesitzer, der Grafen von Würben, darunter die Abschrift einer Autobiographie des 1590 geborenen Grafen Johann von 1638 aus dem Archiv in Wien.44 Vor allem aber sind diese beiden Akten eine Fundgrube zur Geschichte von Groß-Herrlitz, insbesondere unter wirtschafts- und sozialhistorischen Fragestellungen, denn sie enthalten in Abschrift unter anderem ein Verzeichnis aller Einkommen, Roboten und Ausgaben des Gutes für das Jahr 1688/89, eine Aufstellung des Viehbestandes, der Getreide- und Fischereierträge Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga 38 LVVA 1 100, ap. 14, lieta 115. 39 Als Heinrich von Bellegarde 1806 während einer plötzlichen Versetzung in aller Eile seine Angelegenheiten regeln musste, galt seine Aufmerksamkeit vor allem der Verpackung seiner Bibliothek; dazu sein Brief an einen seiner Brüder aus Wien vom 4. Dezember 1806; LVVA 1 100, ap. 14, lieta 56-57. 40 LVVA 1 100, ap. 14, lieta 102 fol. 188-189. 41 Angaben nach Plischka (wie Anm. 34). Zum Todesjahr von Gräfin Marie siehe http://pages.prodigy.net/ptheroff/gotha/oettingen.html . 42 LVVA 1 100, ap. 14, lieta 113. 43 LVVA 1 100, ap. 14, lieta 114. 44 Ebenda, Anhang. 327

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