Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)
TISCHER, Anuschka: Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga: Quellen zur transnationalen Geschichte einer savoyisch-österreichischen Adelsfamilie und ihres Umfelds vom 15. bis zum 20. Jahrhundert
Anuschka Tischer regierten.24 Solange die Bellegarde im savoyischen Dienst standen ließen sie sich selbstredend auf diese Verflechtungen ein und profitierten davon. So ernannte der minderjährige Ludwig XIV. am 18. Februar 1647 einen savoyischen Bellegarde - nicht zu verwechseln mit den französischen Herzogen gleichen Namens - zum Oberbefehlshaber über das unter französischem Befehl stehende italienische Kavallerieregiment „Mazarin“ in der Toskana.25 Der endgültige Wandel der Bellegarde von einer savoyischen zu einer österreichischen Familie ereignete sich in der Folge menschlicher Verwicklungen, die wesentlich beeinflusst waren von den politischen Verwicklungen der Französischen Revolution und der Besetzung Savoyens. Die politischen und einzelne biographische Aspekte dieser Ereignisse wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus französischer Perspektive thematisiert.26Die Art der Ereignisse hätten aber auch eine neue, politisch und moralisch untendenziöse und weniger romanhafte und hypothetische Darstellung unter aktuellen Fragestellungen verdient, die heute durch weitere Quellen aus dem Rigaer Archiv, darunter biographische Dokumente über Friedrich Graf von Bellegarde27, ergänzt werden könnte. Insbesondere ist der juristische Aspekt der Ereignisse nicht aufgearbeitet, ein sich durch verschiedene Staaten mit sich wandelnden Staatsformen und politischen und gesellschaftlicher Voraussetzungen ziehender langjähriger Scheidungskrieg. Nach dem Prozess von 1764/65 war es, gerade vier Jahrzehnte später, die zweite große juristische Auseinandersetzung der Bellegarde’sehen Familiengeschichte, dieses Mal allerdings geführt zwischen zwei Familienmitgliedern selbst, dem Grafen Friedrich von Bellegarde und seiner Ehefrau und Cousine Adelaide.28 Auch Material dieses Prozesses wurde von der Familie später aufbewahrt29, und dieser Prozess wurde mit einer französischen Druckschrift30 zugunsten des Grafen ebenfalls von den Beteiligten an die Öffentlichkeit getragen und im Kampf um die öffentliche Meinung geführt. 24 Siehe Claretta, Gaudenzio: Storia della reggenza di Christina di Francia, duchessa di Savoia. Turin. 3 Bde. Turin 1868-1869. 25 Original der Ernennungsurkunde: LVVA 1 100, ap. 14, lieta 66. 26 Siehe dazu Daudet; Ernest: Les dames de Bellegarde. In: Revue des Deux Mondes (1903), Teil 1 : (Oktober) S. 570-603, Teil 2: (Oktober) S. 864-899, Teil 3: (November) S. 407-444. 27 LVVA 1 100, ap. 14, lieta 36 fol. 13-33. Es handelt sich um biographische Darstellungen über den Grafen, einen Stammbaum sowie Kopien von Tauf- und Eheurkunden. 28 Siehe zu dieser auch den biographischen Artikel von Roman d’Amat, in: Dictionnaire de Biographie Française, Bd. 5, Paris 1951, Sp. 1 329 f. 29 Ein Teil des Materials zur Verteidigung des Grafen Friedrich ist sogar mit den Prozessakten von 1764/65 in einer Akte (LVVA 1 100, ap. 14, lieta 112) überliefert. Weiteres wurde archiviert mit anderen Ehedokumenten aus der Familiengeschichte (ebenda lieta 38) sowie mit anderen biographischen Dokumenten (ebenda lieta 36). 30 LVVA 1 100, ap. 14, lieta 112 fol. 177-195v. 324