Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

TISCHER, Anuschka: Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga: Quellen zur transnationalen Geschichte einer savoyisch-österreichischen Adelsfamilie und ihres Umfelds vom 15. bis zum 20. Jahrhundert

Ausgangspunkt war die von François-Eugène-Robert von Bellegarde 1787 arrangierte Ehe seiner Tochter Adelaide mit Friedrich von Bellegarde, dem Sohn seines Bruders Johann Franz (Jean François). François-Eugène-Robert war selbst in London geboren und hatte im Militärdienst der Generalstaaten gestanden, war dann aber als Erbe der savoyischen Linie der Bellegarde wieder nach Savoyen zurückgekehrt. Seine Brüder dagegen gingen in den kursächsischen Dienst: Claude- Marie agierte als Diplomat für Kursachsen und Polen in der Schweiz, in Frankreich, in Genua und sogar in Sardinien31, Johann-Franz ehelichte eine Erbin schlesischer Güter, wurde darauf hin in den landständischen Adel Böhmens und seiner Nebenländer aufgenommen und brachte es bis zum kursächsischen Kriegsminister. Sein Sohn Friedrich wurde 1752 in Dresden geboren, Paten waren der sächsische Kurprinz Friedrich Christian und dessen Gattin, eine Tochter des wittelsbachischen Kaisers Karl VII. Friedrich und sein Bruder Heinrich begannen folglich im sächsischen Dienst ihre Karrieren, doch blieb die sächsische Periode letztlich nur ein Intermezzo in der Geschichte der Bellegarde: Heinrich wechselte in den kaiserlichen, später österreichischen Dienst, Friedrich kehrte 22-jährig zunächst in die Heimat seiner Vorfahren, das Königreich Sardinien, zurück. Als er dann seine Cousine Adelaide heiratete, eröffnete sich mit der Aussicht auf einen Großteil der savoyischen Familiengüter auch die darauf, künftig Oberhaupt des savoyischen Hauses Bellegarde zu werden, denn Adelaide hatte zwei Schwestern, aber keinen Bruder. Als allerdings 1792 die französischen Revolutionstruppen nach Savoyen einmarschierten, floh Adelaide zwar zunächst nach Piemont, kehrte dann aber zurück und erklärte sich für Frankreich und die Republik. 1793 zogen sie und ihre Schwester Aurore als Anhängerinnen, Adelaide eventuell auch als Geliebte, des französischen Revolutionärs Marie-Jean Hérault de Séchelles nach Paris. Ihren Ehemann, der sich bei der Armee befand, ließ Adelaide de Bellegarde zum émigré erklären und erwirkte, dass er nach französischem Recht alle Ansprüche auf ihre savoyischen Güter verlor und die Ehe geschieden wurde. Friedrich kämpfte dann zusammen mit seinem Bruder Heinrich auf der kaiserlichen Seite gegen Frankreich: 1797 ernannte Kaiser Franz II. ihn zum Generalmajor und weitere Ernennungen folgten.32 Friedrich weigerte sich, seinen Status als émigré zu akzeptieren, und focht die Scheidung von seiner Frau an, da er als Ausländer, nämlich als Italiener in kaiserlichem Dienst, gar kein französischer émigré sein und französischer Jurisdiktion unterliegen könne und damit die erwirkten Urteile gegen ihn hinfällig seien.33 Es war eine Auseinandersetzung, die erst aus der politisch-militärischen Lage hatte entstehen können und die durch deren Entwicklung entschieden werden musste. Zunächst hatte Friedrich selbstredend wenig Chancen, seine Ansprüche geltend zu machen. Die Situation in Paris aber wandelte sich ständig: Nach der Die Bellegarde-Akten im Historischen Staatsarchiv Lettlands in Riga 31 Repertorium der diplomatischen Vertreter (wie Anm. 16), S. 285, 334 f, 342. 32 Originalpatente der Ernennungen: LVVA 1 100, ap. 14, lieta 52 fol. 31 ff. 33 So die Argumentation in seiner Anm. 9 zitierten Flugschrift. 325

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