Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 52. (2007)

DÖBERL, Mario: Höfisch oder privat? Die Beschaffung und Wartung von Wägen am Wiener Kaiserhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Mario Döberl Wägen unterhalten sollte, oder ob die fähigsten Meister der Stadt mit der Herstellung der Equipagen beauftragt werden sollten, um den gewaltigen Fuhrpark von über 500 Fahrzeugen aufrecht zu erhalten. Im Lauf der ersten Jahrhunderthälfte wurde diese Angelegenheit unterschiedlich gelöst. In diesem Zeitraum wurden sowohl von bürgerlichen Handwerkern mit Hoftitel als auch von Handwerkern der Hofsattlerei2 Fahrzeuge für den Gebrauch des kaiserlichen Hofstaats gebaut. Betrachtet man den Hof als kleinen Staat im Staat - und diese Vereinfachung sei hier gestattet - so erinnern manche Aspekte der damals geführten Diskussionen zur Frage, welche der beiden Beschaffungsweisen zu besseren Ergebnissen führe, an Debatten unserer Tage, bei der die eine Seite, ausgehend vom Ideal des freien Unternehmertums, für die Förderung des wirtschaftlichen Wettbewerbs und die Privatisierung von Staatsbetrieben plädiert, während die andere Seite die Auffassung vertritt, dass manche Aufgaben besser nicht aus dem Staatsbereich auszugliedem seien, weil sie innerhalb desselben am besten erledigt werden könnten. Die ausgetragenen Meinungsdifferenzen fanden ihren Niederschlag in den Akten des Oberststallmeisteramtes. Drei Punkte waren bei der Diskussion maßgeblich: das Geld, die Sicherheit und die Ästhetik: 1. Wie konnten die Ausgaben für das Hofärar möglichst niedrig gehalten werden? Dabei ist nicht nur an das Geld für die Anschaffung der Fahrzeuge zu denken, sondern auch an Personalkosten sowie an die Haltbarkeit der Fahrzeuge. Die Befürworter einer Konzentration der Fahrzeugproduktion in der Hofsattlerei warfen den auswärtigen Hoflieferanten vor, sie würden keine dauerhaften Waren liefern, da sie auf diese Weise rasch zu neuen Aufträgen gelangen könnten, und verdächtigten sie außerdem, Preisabsprachen zu halten und überzogene Tarife zu fordern. Die Catherine: La Carrosserie en Belgique aux XVIIIe et XIXe siècles. Formes et techniques. Diss. Bruxelles 1997/98, Bd. 1-5, hier Bd. 1, S. 46-47 und Bd. 2, S. 189-238; Rommelaere, Catherine: Voitures & carrossiers aux XVIIIe et XIXe siècles. La Belgique face à la France et à l’Angleterre. Bruxelles 2004, S. 41-43. Auch für die 1770er Jahre sind Wagenkäufe des Kaiserhauses bei Simons dokumentiert. Rommelaere: La Carrosserie en Belgique, Bd. 1, S. 65 und 107 und Bd. 5, S. 13-15. Siehe dazu auch HHStA, OStA, C, 81, Fasz. 5. Zwischen 1800 und 1850 gelangten nur in Ausnahmefällen Wägen, die nicht in Wien hergestellt worden waren, in die Flofwagenburg. Dazu zählen der so genannte „Mailänder Krönungswagen“ (Kunsthistorisches Museum Wien, Wagenburg [in Hinkunft: KHM, WB], Inv.-Nr. W 3) und der so genannte Kinder- Phaeton des Herzogs von Reichstadt (KHM, WB, Inv.-Nr. W 71), die beide Pariser Arbeiten sind. Zu diesen beiden Fahrzeugen und zu den Wegen, auf denen sie in den Besitz der Habsburger gekommen sind, siehe Kugler, Georg: Die Wagenburg in Schönbrunn. Hofwagenburg, Reiche Sattel- und Geschirrkammer der Kaiser von Österreich. Graz 1977, S. 59-62 sowie Abb. 41 und 43. Zuweilen gelangten auch Wägen in Hofbesitz, die Gesandte in dringenden Fällen während Auslandseinsätzen gekauft und nach Wien mitgebracht hatten. Siehe zum Beispiel Hofkammer an Oberststallmeister Kaunitz, Wien 1810 Februar 22, HHStA, OStA, B, 5, fol. 616r. 2 Der Begriff Hofsattlerei wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts meist als Synonym fiir die Hofwerkstätten der Sattler, Riemer, Wagner, Schlosser, Wagenschmiede und Schneider verwendet. 114

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