Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)

ORTLIEB, Eva: Die „Alten Prager Akten“ im Rahmen der Neuerschließung der Akten des Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien

Eva Ortlieb Für die stets beklagte, wissenschaftlich keinesfalls gerechtfertigte Vernachlässigung des RHR gibt es mehrere Gründe.3 So stand zunächst, ebenso wie im Fall des RKG, die Abwertung des Alten Reichs in der Geschichtswissenschaft des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer intensiveren Beschäftigung mit dem RHR entgegen, obwohl andererseits das erste einschlägige Standardwerk des 20. Jahrhunderts gerade in dieser Zeit erschien.4 5 Das auflebende Interesse für das Reich und seine Institutionen seit den 1960er Jahren stellte die ständische Perspektive in den Mittelpunkt und begünstigte damit die in zahlreichen deutschen und europäischen Archiven verstreuten Reichskammergerichtsakten, während die auf das Archiv des RHR im Österreichischen Staatsarchiv, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), angewiesene Reichshofratsforschung zusätzlich unter einer deutlichen Reserviertheit der österreichischen Rechts- und Geschichtswissenschaft gegenüber dem frühneuzeitlichen Reich litt.3 Auf rechtshistorischer Seite hat die lange unterstellte Vorbildhaftigkeit des Kameralprozesses für den RHR die Arbeit mit den Reichshofratsakten behindert, schien sie doch keine wesentlich neuen Erkenntnisse über Prozessrecht und Prozessführung zu versprechen.6 Darüber hinaus stand der im Gegensatz zum RKG allein vom Kaiser besetzte sowie finanzierte und am Kaiserhof tagende RHR in den Verfassungsdiskussionen des Alten Reichs stets im Verdacht der Parteilichkeit. Dies mag, vor allem in der landesgeschichtlichen Forschung, die Auffassung begünstigt haben, der RHR sei als Instrument des Kaisers zur Durchsetzung habsburgischer bzw. katholischer Interessen in seiner Rechtsprechung und entsprechend in seiner sozial- und verfassungsgeschichtlichen Bedeutung nicht recht ernst zu nehmen. Das vergleichsweise geringe Interesse an den reichshofrätlichen Akten und die schiere Masse des im Wesentlichen7 einer einzigen Institution anvertrauten Materials haben Zum folgenden vgl. Sellert, Wolfgang: Projekt einer Erschließung der Akten des Reichshofrats, ln: Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis. Hrsg, von Wolfgang Sellert. Köln, Weimar, Wien 1999 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 34), S. 199-210, hierS. 199-201. 4 Gschließer, Oswald von: Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806. Wien 1942 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte des ehemaligen Österreich 33). 5 Fellner, Fritz: Reichsgeschichte und Reichsidee als Problem der österreichischen Historiographie. In: Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996-1806. Hrsg, von Wilhelm Brauneder und Lothar Hobelt. Wien, München, Berlin 1996, S. 361-374. Sellert, Wolfgang: Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens. Aalen 1973 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. N.F. 18), S. 42 f. 594

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