Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)
DEUSCH, Engelbert: Ein Versuch die österreichische Protektion auf das Fürstentum Montenegro auszudehnen
Engelbert Deusch Ein Blick auf die Karte muß jederman klar machen, daß man von der oberen Moracsa [Moraca] bis an die Gränze Serbiens nur drey Tagesmärsche braucht. Das Interesse Montenegros und des Fürstentum Serbiens ist, wie wir gesagt haben, ein durchaus solidarisches gegenüber der Türkei; es ist seit Jahrzehnten und besonders seit dem letzten Befreiungskriege Serbiens eine entschiedene Hinneigung wahrzunehmen durch die Assimilierung des zwischen Montenegro und Serbien liegenden Gebiethes einen fortgesetzten Länderkomplex heranzubilden. Dieses offenkundige Streben wird noch mehr durch den begünstigenden Umstand unterstützt, dass das ganze Ibargebiet die Paschaliks von Ipek [Pec, Pejë], Pristina [Pristina, Prishtinë] und Prisren [Prizren] so wie der sogenannte Bassin von Novibazar [Novi Pazar] von einer ausschließend serbischorthodoxen Bevölkerung bewohnt werden, welche nur geringer Unterstützung von Seite Serbiens oder Montenegros bedürfen, um auf den ersten Ruf die Waffe zu ergreifen. Indem wir diese besonderen Verhältnisse erwähnen, um die ganze imposante Tragweite der neuesten Ereignisse in Montenegro zu veranschaulichen, muß auch zum bessern Verständnisse der gegenwärtigen Situation noch die jetzige politische Stimmung der zunächst liegenden mohammedanischen Bevölkerung einer nähern Beleuchtung unterzogen werden. Das grausame Verfahren Omer Paschas in Bosnien, die blutige Unterdrückung des dortigen mohammedanischen Aufstandes, mehr aber als alles die gänzliche Entwaffnung dieser Gegenden, welche die stolzen Osmanlis tief verletzt hat, haben unter der mohammedanischen Bevölkerung Bosniens eine größere und nachhaltigere Erbitterung hervorgebracht als sie es jemals gegen die Montenegriner gewesen. Es hat also dieselbe in dem zwischen Montenegro und Serbien liegenden Theil durchaus auf keine Unterstützung zu rechnen. Erwägen wir noch den Umstand, daß die dortige Bevölkerung entwaffnet ist, so kann einem Einfalle von 10 000 Montenegrinern- und soviel streitbare Mannschaft dürfte zu einer Invasion augenblicklich disponibel gemacht seyn- kein anderer Widerstand als die dort befindlichen regulären türkischen Truppen entgegen zu stellen seyn. Nun ist es aber eine Tathsache, daß die in dieser Provinz zur Disposition stehenden türkischen Armeeabteilungen selbst während der Unterdrückung des Bosnischen Aufstandes die Zahl von 12 000 Mann niemals überschritten haben. In allen Theilen der großen Provinz zerstreut, und von der noch immer malkontenten Bevölkerung in Schach gehalten, entbehren diese Truppen bei der Entfernung des Hauptquartiers von Omer Pascha, welches sich in Monastir befindet, und bei der notorischen Unfähigkeit der höheren türkischen Offiziere jedes geregelten Zusammenhanges und sind wenig zu fürchten. Aber selbst vorausgesetzt, was bei der unvollkommenen und schlecht organisierten türkischen Armee nur im Verlauf von Monaten möglich sein könnte, setzen wir voraus, daß Omer Pascha ein zur Besiegung der Montenegriner hinreichend scheinendes Armeekorps schnell zu konzentrieren im Stande sey, so würde bei näherem Eingehen in die strategischen Verhältnisse mit Rücksicht auf die jetzige politische Stimmung des Fürstenthumes Serbien die Chancen für die Türkei sich kaum günstiger gestalten. Die natürliche Operationslinie der Türken gegen Montenegro, ist Skutari als Basis im Tale der Moracsa. Durch den Besitz der Festung Zabljak und das Festsetzen der Montenegriner an der untern Moracsa sind die Bewegungen der Türken in dieser Richtung unmöglich, bevor Zabljak wieder in ihre Hände gelangt. Obgleich diese Festung für eine europäische, mit allen Mitteln moderner Kriegsführung versehene Armee kein bedeutendes Hindemiß abgeben dürfte, wird es bei dem gegenwärtigem Zustande des türkischen Heeres gegenüber einer wachsamen und tapferen Besatzung für die Truppen des Halbmondes ein unüberwindliches Hindemiß. Eine Operation längs des Drinassy durch die Distrikte der Hottis, oder von Ipek aus durch die der Clementiner, durch die unwegsamen Pässe der Albanien und Bosnien trennenden 150