Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)

DEUSCH, Engelbert: Ein Versuch die österreichische Protektion auf das Fürstentum Montenegro auszudehnen

versuchen könnte, so glaube ich, daß die Notwendigkeit, Montenegro verdoppelte Aufmerksamkeit zu schenken, keine unbedeutende ist. Ist Montenegro für die beiden im Orient nach Einfluss ringenden Rivalen Rußland und England von so bedeutender Wichtigkeit, so erscheint es für das seinen Grenzen so nahe gelegene Österreich um so wichtiger, als bei einem Ausbruche eines ernstlichen Krieges zwischen Montenegro und der Türkei, Serbien wie ein Mann aufstehen und sich daran beteiligen würde. Diese als gewiß vorauszusetzende sympathätische Bewegung dürfte sich nicht allein auf türkisch Serbien beschränken, sie könnte sich auch auf alle von den Südslaven bewohnten österreichischen Gebiete fortpflanzen, wodurch jede politische Regung Montenegros für Österreich eine doppelte Bedeutung und unabsehbare Tragweite erhalten könnte. Ich komme nun auf die Ereignisse selbst, welche soeben theils stattgefunden haben, theils in der verhängnisvollen Entwicklung begriffen sind. Daniel Petrovich, der gegenwärtige Fürst Montenegros, ist der Neffe des verstorbenen Vladika und wurde durch Testament desselben zum Nachfolger bestimmt. Da er sehr jung war, und durch seine frühere Haltung sich im Lande keines besonderen Ansehens erfreute, fand diese letztwillige Anordnung bei mehreren Familiengliedem, welche dem Lande mehr Dienste geleistet zu haben vermeinten, vor allen bei seinem Oheim, dem Senatspräsidenten Peter, eine solche entschiedene Opposition, daß es Daniel mit seiner persönlichen Kraft allein unmöglich gelungen wäre, sich auf seinem Posten zu behaupten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Österreich in dem damahligen geeigneten Momente durch eine leichte Unterstützung ihn ganz hätte für sich gewinnen können. Man unterließ es und Rußland, an welches sich Daniel wandte, griff ihm bereitwillig unter die Arme und ließ sich sogar herbei zu seiner weltlichen Stellung als Regent seine Zustimmung zu geben. Es schickte ein paar außerordentliche Agenten nach Cetinje, um die Testaments-Vollstreckung Peters II. zu unterstützen, und in der unter den Auspizien der russischen Sendboten abgehaltenen Volksversammlung ging alles nach Wunsch des jungen Fürsten. Kaum sechs Monathe auf dem Fürstenstuhle Montenegros, sehen wir Daniel durch den Einfall in das türkische Gebieth und durch die Einnahme der Festung Zabljak eine Bewegung heraufbeschwören, welche in ihren Folgen leicht zu einer Lebensfrage über das Bestehen oder Untergehen der europäischen Türkei anschwellen kann. Um diese letztere, etwas gewagt scheinende Behauptung zu rechfertigen, muß ich die leitenden Faktoren, welche dieses Ereignis vorbereiteten, einer detaillierten Betrachtung unterziehen. Hiezu rechne ich vor allem die eigenthümliche geografische Lage des Landes und die primitive Armuth der zwischen jeder Cultur unfähigen in steilen Felswänden eingekeilten Bevölkerung, welche von der Natur dazu angewiesen ist, bei vermehrter Population von ihren Bergen herabzusteigen und sich in den fruchtbaren Nachbarländern Nahrung zu suchen. Wenn in einem solchen Lande die Idee eines Staates einmal wach geworden, so gesellt sich bei dem kriegerischen Geiste seiner Bewohner zu dieser instinktartigen Expansivkraft noch der politische Drang, sich auszubreiten, wozu die Montenegriner durch die Sympathien der angränzenden slavisch christlichen Bevölkerung gleichsam herausgefordert werden. Wenn diese Spartaner der Türkei sich bisher ziemlich ruhig verhielten; so geschah es, weil die schwankende Gesundheit und der friedliche Charakter des verstorbenen Fürsten diese schlummernden Leidenschaften des Volkes nach Möglichkeit im Zaume zu halten verstand, vorzüglich aber aus dem Grunde, weil bisher der unmittelbaren mohammedanischen eben so tapfer als waffenkundigen Nachbarn der Morasca und des südwestlichen Bosniens den Montenegrinern für ihr Kriegsgelüste ein gewichtigeres Hindernis schienen, als die gerühmte, auf europäischem Fuße organisierte türkische Armee. Ein Versuch die österreichische Protektion auf das Fürstentum Montenegro auszudehnen 149

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