Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)
DEUSCH, Engelbert: Ein Versuch die österreichische Protektion auf das Fürstentum Montenegro auszudehnen
Mühe wert den Fürsten Dolgorucki22 als Gesandten in das kleine Land zu schicken um in seinem Interesse zu intervenieren. Im Jahre 1777 gelangte der Metropolit Peter I.23 in Montenegro ans Ruder, unstreitig der größte Regent, unter ihm wurde der mit beträchtlicher Heeresmacht anrückende Machmud Pascha zweymahl aufs Haupt geschlagen und dadurch die Unabhängigkeit Montenegros zur faktischen Geltung gebracht. Im Türkenkriege unter Josef II. leisteten die Montenegriner unter dem Kommando des k. k. Majors Vuccassovics für Österreich wichtige Dienste. Dies war vielleicht der Moment, den Einfluß der k. k. Regierung in Montenegro für immer zu sichern, und dies um so eher, als auch der Vladika Peter I. in Karlowitz die Bischofsweihe empfangen hatte und sich also natürlich zu Österreich hingeneigt fühlen mußte. Nach dem Friedensschlüsse mit den Türken wurde aber von Seite Österreichs jede Verbindung mit den Montenegrinern abgebrochen, das tapfere Volk, dessen man im Traktate nicht gedachte, wurde der Rache der Türken preisgegeben, und dadurch dem Interesse Österreichs völlig entfremdet. Nach dem Tode Peter I. [1830] wurde auch die Pension, welche der Vladika von Montenegro aus Wien bezog, eingezogen. Von da an ging der Einfluß Österreichs auf Montenegro gänzlich verloren, um welches Letztere man sich so wenig kümmerte, als ob es im entferntesten Welttheile gelegen wäre. Diese Sachlage wurde von den Russen getreulich ausgebeutet, und im ersten Dezennium dieses Jahrhunderts sehen wir die Montenegriner als Bundesgenossen des Zarenreiches gegen die Franzosen wichtige Dienste leisten. Die Erwerbung der Bocche di Kattaro, die stamm- und religionsverwandte Bevölkerung dieser Provinz, der Umstand, dass die Priester der angränzenden Kreise den Metropoliten von Montenegro als ihren Diözesan-Bischof betrachteten und die Priesterweihe von ihm erhielten, boten vielfache Mittel für Österreich dar, seinen Einfluß geltend zu machen. Im Jahre 1830 wurde Peter IL, der unlängst gestorbene Vladika, Regent seines Volkes. Da Peter II. in St. Petersburg die Bischofsweihe empfing, von seinem Regierungsantritte bis zum Tode eine bedeutende russische Pension bezog, Österreich dagegen nichts that, um diesen Fürsten an sich zu fesseln, so blieb Rußland alleiniger Herr der Situation und ist bis jetzt der faktische Oberherr des montenegrinischen Landes. Eine weitere Bedeutung erhielt Montenegro, als England in den Besitz der Ionischen Inseln gelangte, sogleich begann das britische Kabinett mit den Versuchen, um bei den Montenegrinern für künftige Eventualitäten im Orient einen erwünschten Anhaltspunkt zu gewinnen; allein all die eingeleiteten Schritte scheiterten an dem wachsamen Gegenbemühen Rußlands und führten für England zu keinem befriedigenden Ziele. Als persönlicher Freund des verstorbenen Vladika und von ihm mit einem besonderen Vertrauen beehrt, war ich selbst in der Lage, die schriftlichen Aktenstücke kennen zu lernen, welche in dieser Richtung aus England an ihn ergingen, worin man ihm die glänzendsten Anträge macht, die auf nichts weniger hinausliefen, als auf eine förmliche Unabhängigkeitserklärung Montenegros, was für die Politik Englands, welche die Integrität der Türkei so warm verficht, ein beachtenswerter Kommentar ist. Wenn wir ferner erwägen, dass Frankreichs Politik im Orient mit der Englands ein gleiches Ziel anstrebt, daß Frankreich, welches durch seine inneren Verhältnisse beirrt, in seiner Wirksamkeit nach Außen ohnmächtig war; jetzt einen Bonaparte als Kaiser, auch die Traditionen eines Herzogs von Dalmatien und Herzogs von Ragusa ins Leben zu rufen Engelbert Deusch 22 Dolgorukij = eine der ältesten fürstlichen Familien in Russland, die ihren Ursprung von Rurik ableitete.; Wassili Michailowitsch (1722-1782). 23 Hier ist Stratimirovich ungenau, Peter I. (1782-1830) folgt seinem Onkel Sava (1735-82). 148