Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)

DEUSCH, Engelbert: Ein Versuch die österreichische Protektion auf das Fürstentum Montenegro auszudehnen

Ein Versuch die österreichische Protektion auf das Fürstentum Montenegro auszudehnen von Serbien nur unter diesen Voraussetzungen, seine Ergebenheit, und seine freundnachbarlichen Dienste für Österreich betätigen könne, weil in dem Augenblicke, wo Kara Georgyevics diese leitende Idee verließe, seine Regierung gegenüber einer allgemeinen südslavischen Bewegung nicht mehr Herr der Situation bliebe, also auch Österreich von keinem Nutzen sein könnte. Andererseits kann Österreich nach den geschilderten Umständen den in diesen Ländern für ihn so unentbehrlichen Einfluß nur dann bewahren oder vermehren, wenn es dieser Idee der Vereinigung der Südslaven in der Türkei jetzt nicht nur kein Hindernis entgegensetzt, sondern vielmehr als dieselben unterstützend auftritt und zur Vergrößerung seiner Macht benützt. Wenn man daher auf die Ereignisse des Jahres 1848 noch einmal hinweist und den mächtigen Einfluß in Erwägung zieht, welchen damals das Patriarchat von Karlowitz als der natürliche in Österreich gelegene Gravitationspunkt der orthodoxen Kirche auf die jenseits der Save und Donau befindlichen Bekenner derselben ausübt, wenn ferner die einflußreiche Banus-Würde Kroatiens als ein weiterer Vereinigungspunkt für die katholische Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina gehörig in Anschlag gebracht und benützt würde, wenn ferner nicht aus den Augen gelassen wird, unter welchen Bedingungen sich die Regierung des Fürsten Kara Georgyevics hält, und Österreich nützlich sein kann; so glaube ich auf die naturgemäße künftige Politik Österreichs hingedeutet zu haben, und es bliebe mir nur noch ein einziger wichtiger und beachtenswerter Faktor, bei einer Eventualität in der europäischen Türkei, d. i. Montenegro und sein Fürst näher zu besprechen. Bevor ich mich in eine detaillierte Besprechung einlasse, muß ich besonders hervorheben, daß in der öffentlichen Meinung des Südslaventums die serbische Regierung und der Vladika von Montenegro als unzertrennlich und in ihren Interessen gegen die Pforte solidarisch, und als die Vorkämpfer des Südslaventums bezeichnet sind; demnach also Österreich, wenn es aus dem unvermeidlichen Verfalle des türkischen Reiches für sein Interesse günstige Consequenzen erwartet, in gleicher Weise nur mit denselben Mitteln auf Montenegro wie Serbien einzuwirken habe. Vor unserem Besitze der Boche di Kattaro [Bocche di Cattaro = Boka Kotorska] konnte Österreich auf Montenegro nicht unmittelbar politisch einwirken, nichts destoweniger hätte es bei dem Umstande, als man sich zu verschiedenen Zeiten ernstlich damit beschäftigte, in der Türkei fester Fuß zu fassen nicht so vernachlässigt werden sollen, wie es wirklich geschah; da dieses Land durch seine Lage von großer strategischer Wichtigkeit ist und die Montenegriner sich im ganzen christlichen Orient seit Jahrhunderten der entschiedensten Sympathien erfreuen. Ich kann nicht umhin in dieser Beziehung das Verfahren einer anderen Macht, nämlich Rußlands, entgegenzuhalten, das darauf angewiesen scheint im Orient die nämliche Tendenz mit Österreich zu verfolgen, bis jetzt nichts versäumt hat, um seinen Einfluß in Montenegro zu befestigen. Obgleich Montenegro zu Ende des 17. Jahrhunderts von den damaligen Grenzen Rußlands um hunderte von Meilen entfernter lag als von denen Österreichs, obgleich Rußland zu jener Zeit durch die sekundäre Stellung im europäischen Staaten-Verbande nicht die leiseste Möglichkeit seines jetzigen Einflusses auf diese Theile Europas ahnen ließ, hat es dennoch schon unter Peter dem Großen die ersten Schritte zur Erweckung von Sympathien in Montenegro getan, welche unter den nächstfolgenden Regierungen von Zeit zu Zeit und mit Erfolg wiederholt wurden. Als im Jahre 1767 der Abenteurer Stefan Moli, aus der österreichischen Militärgrenze gebürtig, in Montenegro erschien und sich für den vertriebenen Zaren Peter III. ausgebend die Zügel der Regierung dieses Ländchens an sich riß, fand es das Petersburger Kabinett der 147

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