Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50. (2003) - 200 Jahre Russisches Außenministerium

RATHKOLB, Oliver: Wiederbeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Sowjetunion 1956–1947 zwischen Kaltem Krieg und österreichischer Innenpolitik

DER WIEDERBEGINN DER DIPLOMATISCHEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ÖSTERREICH UND DER SOWJETUNION 1945-1947 ZWISCHEN KALTEM KRIEG UND ÖSTERREICHISCHER INNENPOLITIK Oliver Rathkolb Bereits im Oktober 1945, also noch vor den Nationalratswahlen vom 25. November 1945 hatte die Sowjetunion den „Wunsch geäußert, mit Österreich die diplomatischen Beziehungen aufzunehmen“.1 Offensichtlich konnte man sich in dieser Frage seitens der provisorischen Staatsregierung Renner einen derart einseitigen Schritt nicht vorstellen wie bei der Etablierung der Provisorischen Staatsregierung am 27. April 1945 ohne Zustimmung der drei West-Alliierten. Überdies war noch offen, wer im Gefüge der neu zu erwartenden Regierung die zentralen Außenrepräsentationsposten übernehmen und auch politisch besetzen konnte. Realistischer Weise war daher erst nach den Nationalratswahlen mit einer Entscheidung zu rechnen, obwohl bereits Anfang November 1945 konkrete Namen für die Außenvertretungen am Ballhausplatz diskutiert wurden. Josef Schöner, ein der ÖVP nahe stehender junger Diplomat, nannte in seinem Tagebuch am 7. November 1945 die Namen des sozialistischen Unterstaatssekretärs Karl Waldbrunner sowie des ehemaligen prominenten Sozialdemokratischen Funktionärs aus der Ersten Republik, Julius Deutsch, der sich aber noch im amerikanischen Exil befand.2 Die Vorgaben der Sowjetischen Vertreter waren, dass man für Moskau keinen Berufsdiplomaten wünschte, sondern sich am liebsten einen Sozialisten vorstellen könnte. Der Vorschlag Waldbrunner hatte auch innenpolitische Hintergründe, da er in dem Ressort des für Wirtschafts- und Handelsfragen zuständigen ÖVP- Staatssekretärs Heini ziemliche Aufregung verursacht hatte und überdies 1932 bis 1937 längerer Zeit in der Sowjetunion als Ingenieur für Kraftwerksbauten gelebt hatte und außerdem ganz gut Russisch sprach. Tatsächlich wurde erst rund ein Monat nach den Wahlen am 27. Jänner 1946 in der Wiener Zeitung amtlich verlautbart, dass Ing. Karl Waldbrunner nach Moskau 1 Österreichisches Staatsarchiv, Wien, Archiv der Republik [in Hinkunft: AdR], Bundeskanzleramt/AA II-Pol. 1946 Karton V, ZI. 111.105 außer 1946. 2 Schöner, Josef: Wiener Tagebuch: 1944-1945, hrsg. v. Eva-Marie Csäky u. a., Wien 1992. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50/2003 157

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