Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50. (2003) - 200 Jahre Russisches Außenministerium

LEITSCH, Walter: Die ersten 300 Jahre in den Beziehungen zu Österreich

nicht nur geschickt argumentieren können. Herberstein brauchte drei Monate und mehr für eine Reise nach Moskau in einer Richtung, man war auf einer solchen Mission mindestens ein halbes Jahr unterwegs. Gewiss war Stockholm fast ebenso weit und Madrid sogar um einiges weiter, doch Wege und Quartiere waren schon in Polen, aber vor allem in Litauen und im Moskauer Staat oft sehr schlecht. Da Ivan III. nur noch mit den Nachbarn so eifrige Beziehungen pflegte wie mit dem Kaiser, waren wohl auch so manche Moskauer Formalitäten des diplomati­schen Umgangs den kaiserlichen Usancen nachempfunden, zumal von Anfang an in Moskau das Streben nach einem Platz ganz oben in der Hierarchie der Fürsten un­übersehbar war. Den Rang drückte man vor allem im Titel aus. Im Vergleich zu anderen Ländern war natürlich der Titel Großfürst der Größe des Territoriums und dem Reichtum Ivans III. nicht angemessen. Daher kam schon Poppel, der erste vom Kaiser entsandte Diplomat, auf die Idee, dem Großfürsten anzubieten, der Kaiser könne ihn zum König erheben. Ivan lehnte das ab.5 Er wollte von niemandem einen Titel, er wollte, wenn er schon nicht den absolut höchsten Platz einnehmen konnte, doch zumindest gleichberechtigt neben dem Allerobersten, also neben dem Kaiser, sitzen. Die Polen waren in Bezug auf diese Titelfrage besonders empfindlich, war doch der König auch Großfürst von Litauen, und da war der Titel Großfürst von geringerem Stellenwert, also hatte auch der Großfürst von Moskau in den Augen der Polen einen geringeren Stellenwert als der König. Wie die Moskauer bemüht waren, ihre Stellung zu verbessern, so wollten die Polen unter keinen Umständen ihren „Vorrang“ verlieren. Immer wieder tauchten in Polen Gerüchte auf, der Kaiser wolle oder werde dem Großfürsten den Königstitel verleihen. Als während der Smuta polnischen Soldaten ein Teil des Schatzes des Zaren in die Hände fiel, kaufte Sigismund III. von einem Soldaten eine aus Moskau stammende Krone, von der man in Polen annahm, es sei eine Königskrone und Kaiser Rudolf II. hätte sie dem Zaren geschenkt.6 Allein diese Gerüchte zeigen deutlich, wie große Bedeutung man den Beziehungen zwischen Zar und Kaiser in dem Land beimaß, das in diesen Be­ziehungen eine große Rolle spielte. Die diplomatischen Gesprächspartner der Moskauer haben sich, als Ivan IV. im Jahre 1547 den Zarentitel annahm, auf eine sehr simple Weise aus der Affaire gezo­gen: Sie gaben dem Zaren den Zarentitel, wie sie dem Sultan den Sultantitel gaben, in beiden Fällen war das mit keiner Stelle in der europäischen Titelhierarchie ver­bunden. Der Zar und Großfürst blieb draußen, was ihn gewiss weniger störte als ein Sitz in einer weniger ehrenvollen Reihe im Amphitheater der Fürstlichkeiten. Das Problem war lästig für alle, behinderte jedoch die Beziehungen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nicht ernsthaft, und es war natürlich für den Kaiser gravierender als für die anderen Fürsten, sooft die Tendenz spürbar wurde, der Zar wolle einen Die ersten 300 Jahre in den Beziehungen Russlands zu Österreich 5 Uebersberger:S. 9-11, siehe auch S. 281 -283, S. 346. 6 Consignation privati thesauri regis Sigismundi 3., in Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin- Potsdam, Geheimes Staatsarchiv, Repositur 9-Polen, 8 E, A 1, 62. 67

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