Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50. (2003) - 200 Jahre Russisches Außenministerium
SCHWARCZ, Iskra: Die diplomatischen Beziehungen Österreich-Russland in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts
Als die Gesandten nach Wien kamen, war der Kaiserhof ratlos. Die kaiserlichen Räte wussten nicht, was sie mit den Moskauern anfangen sollten, da sie keine Ahnung hatten, warum sie wirklich nach Wien geschickt worden waren. Schon Alfred Pribram hat in seinen Untersuchungen Folgendes dazu bemerkt: Über die Berechtigung des russischen Einfalles in Polen hatte er (Ferdinand III.) nicht zu entscheiden. Dazu nötigten ihn weder seine Stellung als Kaiser, noch Verträge mit Polen oder Rußland.14 Der Kaiser war kriegsmüde. Seine Interessen forderten in erster Linie die Vermeidung alles dessen, was ihn in neue Kämpfe verwickeln konnte. Seine Länder waren verwüstet, die Staatskassen leer, das Volk erschöpft, die Heer geschwächt und eine rasche Verstärkung nicht denkbar.15 Der unerwartete Tod des älteren Sohnes, des römischen Königs Ferdinand IV., war ein schwerer Verlust für die Casa de Austria. Die innerliche Stabilität des Reiches war wichtiger und diese Tatsache widerspiegelte sich in den Verhandlungen mit den Russen. Anfang November verließen Ivan Baklanovskij und Ivan Michailov die Stadt Wien mit dem Antwortschreiben des Kaisers. In der Titulatur des Zaren wurde „Klein Russland“ („Malaja Rosija“) eingetragen und auf diese Weise wurde die Annexion der Ukraine von kaiserlicher Seite anerkannt.16 Es wurde beschlossen, eine Bevollmächtigte Gesandtschaft nach Moskau abzufertigen und die darauf folgende diplomatische Mission von Allegretto Allegretti und Theodor Lorbach war ein vorsichtiger Beginn einer neuen Periode in den Beziehungen der beiden Länder, die sich aus den starken Veränderungen in den Machtverhältnissen in Osteuropa ergaben. Die traditionelle österreichische Vermittlungspolitik musste dabei eine wichtige Rolle spielen. Wer waren die Personen, die für die diplomatische Mission in Moskau bestimmt wurden? Die österreichische Gesandten, die im XVII. Jh. nach Russland geschickt wurden, waren keine hauptberuflichen Diplomaten. Es gab Geheime Räte, Hof- Kriegs- und Kammerräte. Die Quellenzeugnisse zeigen ein Phänomen, das für die diplomatischen Beziehungen mit Russland für die gesamte vorpetrinische Zeit zu beobachten ist. Die kaiserlichen Diplomaten waren meistens Leute, die Kenntnis einer slawischen Sprache besaßen und die eine Verständigung mit den Russen ermöglichten. Nur die persönlichen Fähigkeiten und das Vertrauen des Herrschers waren entscheidend, wer für eine bestimmte Mission ausgewählt wird. Allegretto de Allegretti z. B. stammt aus einer bekannten Ragusaner Familie, hatte Kenntnisse des Slawischen und war Hofkaplan und Vertrauter des Kaisers. Frano Dziva Gundulic (1630-1700), der älteste Sohn des bekanntesten kroatischen BaDer Beginn der russisch-österreichischen Beziehungen 14 Pr i b ram, Alfred: Österreichische Vermittlungs-Politik im polnisch-russischen Kriege 1654-1660. In: Archiv für östereichische Geschichte, Bd. 75, 2 Hälfte (1889), S. 423. 15 Pribram: Österreichische Vermittlungs-Politik, S. 424. 16 In der kaiserlichen Urkunde wurde die Titulatur des Zaren nicht ganz in Gold geschrieben und die russischen Gesandten verlangten eine neue Urkunde. Im Staatsarchiv Wien ist die erste Urkunde erhalten geblieben. Siehe: HHStA, Wien, Rußland I, Karton 7, Konv. 9, fol. 81. Vgl. PDS, Bd. III, S. 232-236. 31