Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
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Unter dem Druck des josephinischen Modells einer „Staatskirche“ und seinem auf sozial- wie gesellschaftspolitischen Paradigmen bezogenen Nützlichkeitsdenken sollten die traditionellen Beziehungen zwischen Priestertum und Laien aufgebrochen werden, um den niederen Klerus (oder Teile davon) als staatlich genormtes und kontrolliertes Vermittlungsinstitut aufgeklärter ethischer und religiöser Nonnen einzusetzen, nach eigener Interpretation befreit von „Aberglauben und Irrationalitäten“, wie sie v. a. in der so genannten Volksfrömmigkeit gepflegt wurden. Als Antithese dazu galten der Zentralbegriff des „Barockkatholizismus“, nicht zuletzt vertreten durch den 1773 aufgehobenen Jesuitenorden. Die Spannungen entwickelten sich v. a. aus den negativen Reaktionen und Widerständen von Teilen des Klerus, den diese Reformen in vielen Bereichen entmachten, weitgehend staatlicher Kontrolle unterstellen und ihn oft nur zu einem ausfuhrenden Organ der Behördenanordnungen degradieren sollten. Zentrale Stellung kam in diesen Konzepten der staatlichen Armenpolitik zu, unterlag sie im Josephinismus einer zeittypischen Tendenz zur Zentralisierung und Verbürokratisierung, mit dem Ziel einer von oben gelenkten Anleitung der Untertanen zu „besserem“ Dasein, einschliessend die „Produktivmachung“ auch der einkommenslosen Unterschichten, nicht zuletzt durch Arbeitshäuser. Einen Aspekt darin stellt die Reform des Seelsorgeklerus dar, ein zentrales Anliegen der josephinischen Kirchenpolitik, nachdem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstärkt Zweifel an der moralischen Integrität und religiösen wie seelsorgerischen Kompetenz des Klerus in der aufklärerischen Literatur laut geworden waren. Sie propagierte ein neues, reformkatholisch geprägtes Priesterbild eines „Seelsorgeklerikers“, in Abgrenzung zum verfemten „Barockkatholizismus“ und den so genannten kontemplativen Orden, die sich nicht an der Seelsorge beteiligten. Die Autorin beschreibt in breitem Rahmen das josephinisches Priesterideal und die Versuche seiner Umsetzung - volksnahe und praxisorientierte Seelsorger mit „weltlichen“ Zusatzaufgaben (Armeninstitut, Schule, Pfarrprotokolle), die eine staatlich normierte Ausbildung durchlaufen hatten, dafür aber mit einem gesicherten Verdienst und Altersversorgung ausgestattet waren, was den Klerus sehr in die Nähe des Beamtentums rückte. Die Rezeption der einzelnen Reformschritte wurde genau überwacht, nicht zuletzt die vielen im Buch angeführten Beispiele von z. T. recht deftigen Prediktkriti- ken, also die Beurteilung von Inhalt und Darbietung von Predigten durch anonyme Begutachter, zeugen von staatlicher Kontrolle. Ein eigenes Kapitel widmet die Autorin auch der Ausbildung des Klerus. Beginnend bei der Ablöse der jesuitischen Monopolstellung an den theologischen Seminaren, der Vorgeschichte zur Studienreform von 1774, über Inhalt und Auswirkungen der Reform bis zur Einrichtung der Generalseminarien (in Wien ab November 1783), in denen die Ausbildung des Priestemachwuchses von den Diözesen und 440 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen