Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
Rezensionen
Blanka Némcová und Marta Srámková jedem der Beiträge eine Zusammenfassung in tschechischer Sprache beigefugt. Johann Georg Grasei, geboren am 20. April 1790 zu Neu Serowitz in Mähren, hingerichtet am 31. Jänner 1818 vor den Toren Wiens: - „Jessas, sovül Leit!“ soll der Todeskandidat verwundert ausgerufen haben, angesichts der unübersehbaren Menge von Schaulustigen, die sich zu seinem „letzten Auftritt“ vor dem Wiener Neutor auf dem Glacis versammelt hatten. Der Grasei, die stets lebendige und immer wieder faszinierende Räubergestalt wird regional durchaus unterschiedlich wahrgenommen. Während er sich in den Köpfen der Niederösterreicher als anarchischer Held und Freund der Armen - als eine Art „Waldviertler Robin Hood“ festgesetzt hat, erscheint er der mährischen Nachbarschaft weit weniger positiv, wenn auch nicht minder mythisch verklärt. Dies zeigen auch die genannten acht Beiträge des Symposions: Während in Österreich überwiegend personen-, sozial- und rechtsgeschichtlich geforscht wird, dominiert in Tschechien eher der volkskundliche Aspekt der Graseiforschung. Die gesammelten Beiträge zeigen eine engagierte Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik und beleuchten in allen Facetten die kriminelle Karriere, das gesellschaftliche Umfeld und die Mythenbildung um diesen berühmten Verbrecher. Da ist zunächst der ausführliche Abhandlung aus der Feder des Herausgebers (Harald Hitz), der aus der reichen Grasel-Literatur eine fundierte biographische Zusammenfassung formte. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch der Aufsatz von Michael P a m m e r, einem ausgewiesenen Kenner der Randgruppenproblematik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Der Wiener Strafrechtler Wolfgang Brandstetter rückt die strafrechtlichen Aspekte des „Falles Grasei“ in den Vordergrund, ließ sich aber beim Studium der Quellen nicht immer von der nötigen Sorgfalt leiten. Grasei war ein Deserteur und wurde folglich nicht von einem zivilen Strafgericht, sondern von einem Militärgericht mit wesentlich verschärften Strafbestimmungen abgeurteilt, die letztlich auch zu seiner Hinrichtung führten. Brandstetter stellt jedoch Graseis Militärdienstleistung und damit die Rechtmäßigkeit seines Gerichtsstandes in Abrede. Er schreibt (S. 68 und S. 72): Bei jemandem, der dem Ruf der Fahne überhaupt noch nie gefolgt war, der also vom ersten Einberufungsbefehl an desertierte, konnte diese Verschärfung nicht angewendet werden, weil der Betreffende ja noch gar keinen Fahneneid leisten konnte. Dies traf auf Johann Georg Grasei zu. Er hatte Einberufungsbefehlen nie Folge geleistet und war somit ein Deserteur, der nie einen Fahneneid geleistet hatte. [...] Der Hofkriegsrat als oberste Instanz ließ sich aber nicht beirren: Ein Deserteur sei - so stellte er fest - ein Deserteur, gleichgültig, ob er einmal einen Fahneneid geleistet habe oder nicht. Brandstetter bezieht sich in seinen Ausführungen auf das Standardwerk von Robert Bartsch („Johann Georg Grasei und seine Kameraden“. Wien-Leipzig- München 1924, S. 233). Dieser schreibt aber an der zitierten Stelle gerade das Gegenteil: 438 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen