Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften

rigkeiten, aber auch recht interessanten Perspektiven verbunden. So mag Schillings Ansatz, mittels des Konzepts von „Vorreitergesellschaften“ die europäische Ge­schichte zu strukturieren, nicht ganz zu überzeugen, auch wenn das Ergebnis das Konzept nicht gebraucht hätte. Das heißt, dass die Darstellung der einzelnen Län­der ohnehin den gängigen Erzählmustem der europäischen Geschichte folgt. Wirk­lich spannend ist die Epochenperspektive, die Schilling vorstellt. So wird nicht, wie es in vielen Handbüchern zur neueren Geschichte der Fall ist, nur generell auf mittelalterliche Ursprünge vieler „neuzeitlicher“ Entwicklungen verwiesen, son­dern diese auch ausgeführt. Die Frage nach der Notwenigkeit einer Epoche der „Frühen Neuzeit“ wird dadurch ein weiteres Mal gestellt. Nicht argumentiert bleibt allerdings die obere Begrenzung des Zeitraums. Der zweite Teil des Buches, der sich mit Strukturen in der europäischen Geschichte beschäftigt, ist leider zu wenig an den ersten Teil angebunden, „leider“ deshalb, weil dieser Teil sicher der interes­santere ist. Demographie und Wirtschaft, Geistes- und Reformationsgeschichte und nicht zuletzt Staatsbildung und europäischer Mächtekampf werden hier zum Teil in einer neuen Synthese oder teilweise innovativer Schwerpunktsetzung dargestellt. Reinhards Geschichte der Staatsgewalt als umfassender Beschreibung der euro­päischen politischen Kultur geht weit über bisherige Verfassungsgeschichtsschrei­bung hinaus. Inwieweit überhaupt diese Bezeichnung noch angebracht ist, erscheint deshalb zweifelhaft. Ein Lehr- oder Studienbuch zur Geschichte der europäischen Verfassungen liegt damit - wie dies vom Autor auch nicht intendiert gewesen sein dürfte - jedenfalls nicht vor. So werden nicht die einzelnen europäischen „Verfassungen“ miteinander verglichen, sondern nach gemeinsamen Mustern, aber auch Varianten innerhalb einer gemeinsamen politischen Kultur gesucht. Am Ende der Lektüre dieses Buches hat man den Eindruck, formelle und informelle Spielre­geln des europäischen politischen Systems und ihre historischen Entwicklungen zu kennen, sofern man beim Lesen durch das dauernde Springen durch Zeit und Raum europäischer Geschichte seit dem Mittelalter nicht völlig den Überblick verloren hat. 424 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen

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