Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften
Reinhard die Behandlung der modernen Verfassungen einnimmt. Ob sich daher „Verfassungsgeschichte“ als historische Teildisziplin überhaupt aufrecht erhalten lässt oder sich noch stärker als bisher in eine Verfassungsrechtsgeschichte und in eine Geschichte der politischen Kultur teilen wird, bleibt abzuwarten, scheint aber unvermeidlich. Resumée In den vorangegangenen Ausführungen sollten einige Probleme dreier Neuerscheinungen aufgezeigt werden, wobei hier selektiv vorgegangen wurde, und nicht alles besprochen wurde, was bei der Lektüre der Bücher als diskutierenswert erschien. Da es uns nicht um eine möglichst vollständige Zusammenfassung der Werke ging, wurden einige Themen nur gestreift, viele andere überhaupt beiseite gelassen. Insgesamt hatten wir es mit Büchern zu tun, die sich nicht ausschließlich an ein Fachpublikum wenden, sondern auch eine breitere Leserschicht im Auge haben. Dies hat Auswirkungen auf den Inhalt und auch auf die Form, nämlich teilweise reichhaltiges Bild- und Skizzenmaterial auf der einen, Beschränkungen des Anmerkungsapparats und der Bibliographien auf der anderen Seite. Der gemeinsame Aspekt unserer Lektüre war die Beschäftigung mit dem Staat in Europa, insbesondere mit dem Heiligen Römischen Reich, die bei allen drei Büchern auf Grund ihrer unterschiedlichen Gesamtkonzepte verschieden ausfiel. Gegenstand der Ausführungen Schmidts war das „Alte Reich“ in der frühen Neuzeit, für das nun nach mehreren Jahrzehnten intensiven Forschungen erstmals eine Gesamtdarstellung vorliegt. Eine Bündelung dieser Forschungsergebnisse auch für ein breiteres Publikum wäre zweifellos ein großes Verdienst gewesen, wenn der Autor nicht mit Begriffen agiert hätte, deren Übertragung auf vormodeme Gesellschaften höchst problematisch ist. Dies gilt ebenso für den Begriff des Staats wie für den der Nation, aber auch für „Freiheit“, „Rechtssicherheit“ und „Menschenrechte“. Auch wenn Schmidt diese Begriffe im Einzelfall durchaus abwägt und immer wieder relativiert, wird durch ihre dauernde Verwendung insgesamt ein Bild erzeugt, dass unseres Erachtens weder dem politischen System noch der Gesellschaft im deutschen Raum in der frühen Neuzeit gerecht wird. Eine wissenschaftliche Notwendigkeit, das Reich als „National-Staat“ zu beschreiben, sehen wir nicht, zu sehr erscheint uns ein solches Bild von der Gegenwart geprägt. Schmidt scheitert so in seinem Versuch, „die Geschichte des Alten Reiches in der Perspektive von Gesamtstaatlichkeit und nationaler Integration“ (Klappentext) zu schreiben, da die Gesamtheit der Relativierungen eigentlich zu einer Verabschiedung der Grundannahme einer deutschen Staats- und Nationalgeschichte hätte führen müssen. Sowohl Schilling als auch Reinhard werden der politischen Struktur des Reichs wesentlich besser gerecht. Ihr europäischer Ansatz ist in beiden Fällen mit Schwie423 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen