Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften
(heutiges Griechenland, Rumänien etc.) nicht zu Europa zählen. Es ist sicher nicht unangebracht, mit einem solchen Europabegriff zu arbeiten, auch wenn sich die Grenzen zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa nicht immer bestimmen lassen. Schillings Beschreibung der europäischen Geschichte umfasst also das christliche Europa, jedoch ohne die Kontakte zum „Nichteuropa“ - Osmanisches Reich und die Neue Welt - aus den Augen zu lassen. Trotz der Betonung partikularer Entwicklungen ist es nicht Ansatz des Buches, eine Zusammenschau der europäischen „Einzelgeschichten“ zu liefern, sondern Gemeinsames der europäischen Geschichte herauszuarbeiten. Schillings komparative Vorgehensweise orientiert sich im ersten Teil an der Beschreibung von „Vorreitergesellschaften“ in der europäischen Neuzeit, mit der die Abfolge wie Auswahl der Geschichte der einzelnen Länder erklärt wird. Die Geschichte Europas, die der werdenden Neuzeit zumal, wurde vorangetrieben durch Vorreitergesellschaften, die mit ihren Nacheiferem in ständiger Konkurrenz standen [...]. Auf diese Weise erlebte Europa in langen epochalen Wellen immer wieder die Verlagerung seiner Kraftzentren, wobei ökonomische, politische und geistige Dynamik meist zusammenfielen und sich addierten (S. 19). Dieses Konzept erscheint nicht unproblematisch. Es ist nämlich nicht ganz klar, welche Leitfunktion diese Vorreitergesellschaften für die gesamte europäische Geschichte hatten. Sicher beeinflusste zum Beispiel die italienische Renaissance besonders durch die humanistischen Wissenschaften, das römische Recht, die Kunst und nicht zuletzt durch die politische Theorie Europa, jedoch war die Rezeption diesen Neuen zeitlich sehr unterschiedlich. England, um ein anderes Beispiel zu nennen, bewies sicher durch seine politische Struktur (Parlament) und Wirtschaftskraft (industrielle Revolution) eine Vorreiterfunktion für das heutige Europa, während allerdings zur Zeit der Englischen Revolution in Europa durchaus konkurrierende politische Modelle existierten. Die „Vorreiterrolle“ ist daher nur ex post betrachtet eine solche. Zudem, und dies erscheint als ein weiteres Problem, orientiert sich die Vorreiterrolle an „nationalen“ Grenzen, während dies beispielsweise für Wirtschaftsräume so nicht zutreffen musste, von noch schwerer zu bestimmenden Zentren „geistiger Dynamik“ ganz zu schweigen. 6. Verfassungsgeschichte Eine allgemein akzeptierte Definition von „Verfassungsgeschichte“ liegt bisher nicht vor. Die von Reinhard gewählte Beschreibung fasst ihren Inhalt folgendermaßen zusammen: Verfassungsgeschichte beschränkt sich [...] nicht auf Rechtsgeschichte von Verfassungsgesetzen, sondern widmet sich umfassend dem politischen Leben eines Gemeinwesens, unter selbstverständlicher Berücksichtigung von Wirtschaft und Gesellschaft, aber ohne deswegen in der allgemeinen Geschichte einer Gesellschaft aufzugehen (S. 17 f.). Wichtiger als dieses Bekenntnis zu einem recht weit gefassten Verfassungsbegriff, der im Grunde eine genauere Definition vermeidet, erscheint uns das von 421 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen