Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften
der zeitlichen Begrenzung an ältere Überlegungen (Hassinger) an,’ die für eine „längst überfällige“ neue Epochenperspektive - “gleichsam rittlings auf der vertrauten Epochengrenze [...] angesiedelt“ (Schilling, S. 10) und die Sinnhaftigkeit der Zäsur um 1500 hinterfragend - eintreten. In diesem längeren Zeitraum von 1250-1750 ist, abgesehen von den Jahren 1750-1800, die gesamte frühe Neuzeit enthalten. Die Darstellung beschränkt sich allerdings nicht auf die Geschichte der einzelnen europäischen Staaten und Regionen in der „neuen Zeit“, sondern bietet auch der Strukturgeschichte breiten Raum. Nicht nur zeitlich, auch inhaltlich weisen die genannten Bücher einige Gemeinsamkeiten auf. Augenfällig ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Staats in den Büchern von Reinhard und Schmidt. Und auch Schilling konzentriert sich in weiten Teilen seiner Überlegungen auf „die frühmodeme Staatsbildung einschließlich ihrer umfassenden politischen, rechtlichen, institutionellen, mentalen und gesellschaftlichen Formierungsbestrebungen“ (S. 240) als den neben der Reformation wichtigsten Prozess der „werdenden Neuzeit“ in Europa. Auf Grund der genannten Gemeinsamkeiten erschien es uns reizvoll, diese drei Neuerscheinungen gemeinsam zu besprechen und die jeweiligen Ansätze und Ergebnisse bezüglich der Entstehung und des Wesens von „Staat“ und „Staatlichkeit“ im Heiligen Römischen Reich und Europa gegenüberzustellen. Die selbstständigen Argumentationslinien der einzelnen Bücher sollen jedoch in der vergleichenden Perspektive nicht aus den Augen verloren werden, aus diesem Grund wird jedem Werk auch eigener Raum gegeben. Die Historizität des „Staats“? Alle drei Autoren betonen die Historizität des Phänomens „Staat“ als politischgesellschaftliche Organisationsstruktur. Reinhard sieht im Staat eine historisch und geographisch begrenzte Erscheinung: Europa hat den Staat erfunden. Der Staat ist keine anthropologische Notwendigkeit1, er ist weder ,uranfanglich1 noch ist ,Der Staat an und für sich das sittliche Ganze, die Verwirklichung der Freiheit1 und damit das Ziel der Weltgeschichte. Die politische Anthropologie hat so viele .Gesellschaften ohne Staat1 ausfindig gemacht, und der weltweite .Export1 des europäischen Staates durch den Kolonialismus hat so problemaMitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen 1 Hassinger, Emst: Das Werden des neuzeitlichen Europas 1300-1600. 2. Aufl. Braunschweig 1964 (Geschichte der Neuzeit). Auf ihn geht auch der Begriff der „werdenden Neuzeit“ zurück. Zur Epocheneinteilung siehe auch: Schilling, Heinz: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517 1648. 4. Aufl. Berlin 1998 (Das Reich und die Deutschen), S. 13-15 (Seitenangabe nach der Ausgabe Berlin 1988). Derselbe: Höfe und Allianzen. Deutschland 1648-1763. 4. Aufl. Berlin 1998 (Das Reich und die Deutschen), S. 12-15 (Seitenangabe nach der Ausgabe Berlin 1989). Die Bedeutung der frühen Neuzeit als eigene Epoche betont z. B. Schulze, Winfried: „Von den großen Anfängen des neuen Welttheaters“. Entwicklung, neuere Ansätze und Aufgaben der Frühneuzeitforschung. ln: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 44 (1993), S. 3-18. 406