Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

RAUSCHER, Peter – STAUDINGER, Barbara: Der Staat in der frühen Neuzeit. Überlegungen und Fragen zu aktuellen Neuerscheinungen der deutschen Geschichtswissenschaften

tische Ergebnisse gezeitigt, dass dieser Staat inzwischen als weltgeschichtliche Aus­nahme und nicht mehr als Regel gilt (S. 15).4 Einen ähnlichen, wenngleich durch eine andere Schwerpunktsetzung in der Fra­gestellung des Buches nicht in dieser Form explizierten Staatsbegriff hat auch Schilling, wenn er vom Staat, „dieser vielleicht europäischsten aller Kräfte der neuen Zeit“ als etwas Konstruiertem bzw. historisch Gewachsenem ausgeht, dessen Beginn im Mittelalter verwurzelt ist (S. 14). Auch Schmidt will „das Erklärungspotential ,Staat1 nicht an [...] Projektionen, sondern an notwendigen Funktionen“ orientieren. In diesem Sinne ist frühneuzeitliche Staatlichkeit - fern aller Vorstellungen vom Ge­sellschaftsvertrag, von einer sittlichen Idee oder einem geistigen Wesen - als eine be­grenzte, möglichst stabile und im Kern auf Dauer angelegte Handlungseinheit zu ver­stehen, die dem Einzelnen Schutz und Sicherheit bot, Auseinandersetzungen regulierte und Entscheidungen durchsetzte. Sie sollte Friedenswahrung nach innen, Angriff oder Abwehr nach außen garantieren (S. 43). Was hier eine zeitgenössische Vorstellung von Staat(lichkeit) suggeriert, führt Schmidt an anderer Stelle deutlicher aus: „Wichtigste Vorbedingung des inneren Friedens ist eine staatliche Ordnung, die diesen dauerhaft und flächendeckend garantiert.“5 Es scheint also so, als wäre für Schmidt der Staat der generelle Garant für den inneren Frieden und damit zunächst einmal grundsätzlich positiv konno- tiert. Ob es allerdings tatsächlich eine Grundeigenschaft des Staates ist, als Frie­denswahrer aufzutreten - also quasi doch den „Kampf eines jeden gegen jeden“ (Thomas Hobbes - Leviathan) zu beenden -, ist freilich höchst zweifelhaft: Erstens war der werdende Staat über lange Jahrhunderte damit beschäftigt, konkurrierende Ansprüche nach Ausübung legitimer Gewalt meist eben gewaltsam auszuschalten. Zweitens braucht man nicht nur an den „Totalitären Staat“ zu denken, um zu er­kennen, dass auch im entwickelten modernen Staat die Staatsgewalt zur Durchset­zung bestimmter (partei-)politischer Ziele instrumentalisiert wurde (und wird), die für viele Menschen in Vertreibung, Haft oder Tod enden konnten.6 Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48/2000 - Rezensionen 4 So im Prinzip auch C r e v e 1 d , Martin van: Aufstieg und Untergang des Staates. München 1999. 5 Schmidt, Georg: Konfessionalisierung, Reich und deutsche Nation, ln: Die Territorien des Reichs im Zeitalterder Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, hrsg. von Anton Schindling, Walter Ziegler. Bd. 7: Bilanz - Forschungsperspektiven - Register. Münster 1997 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), S. 171-199, Zitats. 172. 6 Vgl. Reinhard: Geschichte, S. 475-479. 407

Next

/
Thumbnails
Contents