Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

PASETZKY, Gilda: Zwei Wiener Jakobiner und ihre Reise nach Frankreich

Zwei Wiener Jakobiner und ihre Reise nach Frankreich Das Problem, ob hier Verbrecher zu Recht oder Patrioten zu Unrecht eingeker­kert und hingerichtet wurden, ist mehr als ein rein juristisches. Es fasst nicht nur alle schon zuvor erwähnten Punkte zusammen, sondern ist auch eine philosophi­sche beziehungsweise politische Schlüsselfrage. Die Antwort hängt letztlich davon ab, ob man das aristokratische Ziel dieses Krieges - die Rückkehr zu den Zustän­den vor 1789 - befürwortet oder nicht. Erstere berührt hingegen unmittelbar das rechtsphilosophische Problemfeld6* des Widerstandsrechtes, da „Hochverrat“ auch als eine Form des aktiven Widerstandes gesehen werden kann. Theoretisch und per definitionem bedeutet „Hochverrat“ einen Angriff auf den inneren Bestand oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Staates. Anders ausgedrückt: „Hochverrat“ ist das Urteil, das die rechtserhaltende Gewalt über den (gescheiterten) Versuch, neues Recht zu setzen, spricht. (Die Sentenz „es gibt keinen gelungenen Hochverrat“ zeugt davon.) In der Praxis ist „Hochverrat“ oft das Urteil, das als Ausdruck einer absolutisti­schen Gewalt über politisch Andersdenkende gefallt wurde und wird. Die Inflation des Wortes „Verrat“ als Drohung und Urteilsspruch kennzeichnet die Diktatur.6'' Da die Definition des Begriffes „Hochverrat“ nichts über die staatliche Gewalt, die dieses Gesetz exekutiert, aussagt, kann diese Problematik (es sei denn, man negiert das Widerstandsrecht vollkommen) nur vor dem Hintergrund des jeweiligen politi­schen Systems behandelt werden. Diese Relativität des Begriffes, verbunden mit der Frage nach Recht und Pflicht zum Widerstand (selbst, und gerade dann, wenn dies in der Verfassung nicht vor­gesehen ist™), verdeutlicht die Komplexität dieser Problematik und verbietet jedes einfache und vorschnelle Urteilen. Denn die Geschichte ist nicht nur Anhaltspunkt und Wegweiser, sie ist auch Spiegel des Jetzt. Die Bilder der Vergangenheit fest­zuhalten, damit sich die Gegenwart vielleicht im rechten Moment in ihr erkennen kann, ist die Aufgabe des Historikers. 68 69 68 Für wertvolle Anregungen und Diskussionen zu diesem Themenbereich möchte ich Frau Marion Picker herzlich danken. 69 Als Beispiel sei an die unzähligen Verurteilungen von Widerstandskämpfern und Patrioten als „Hoch-“ und/oder „Landesverräter“ unter der Nazidiktatur erinnert. ™ Deutschland hat mit dem Artikel 20 des Grundgesetzes das Widerstandsrecht gegen jeden, der die Verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen unternimmt, verankert. (Dies bedeutet, die Zusiche­rung des Widerstandsrechts - wenn die dafür vorgesehenen Instanzen versagen - ist auf die Rechtserhaltung beschränkt.) Die österreichische Verfassung kennt meines Wissens kein dement­sprechendes Gesetz. 363

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