Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

PASETZKY, Gilda: Zwei Wiener Jakobiner und ihre Reise nach Frankreich

Zwei Wiener Jakobiner und ihre Reise nach Frankreich an eine reelle Gefahr glaubten. Doch dieses subjektive Gefühl einer Bedrohung erklärt nicht die ungleiche Behandlung der Verhafteten - gerade im Fall einer wirklichen Gefahr hätte man wohl keine wie immer gearteten Rücksichten genom­men. Die Art der Polizei, die Festnahmen zu bewerkstelligen (mit Hilfe eines Agent provocateur), das offensichtliche Bestreben der Untersuchungskommission, sie möglichst schwer zu belasten, der Ablauf der Prozesse - all das zeigt, dass man sie von vornherein schuldig finden wollte und auch nicht davor scheute, dem nachzu­helfen: Der Agent provocateur, der die Wiener Jakobiner denunzierte, schrieb selbst, wie leicht es sei, „Verbrecher zu machen“.61 Der wirkliche Grund, warum der Kaiser diesen Prozess anstrengte, muss in Österreichs innenpolitischer Situation gesucht werden: Wie bereits festgestellt, war dieser Krieg gegen Frankreich bei der Bevölkerung verhasst - und man muss hin­zufügen, die Invasion in Polen war es noch mehr. So verbreitete man das Gerücht einer immensen Verschwörung, die Kaiser und Reich bedrohe, um das Volk hinter seinen Herrscher zu scharen und die Menschen abzulenken. Gleichzeitig bot das die Möglichkeit, sich der Opposition gegen diesen Krieg, den Franz II. fortzufüh­ren beschlossen hatte, zu entledigen. Diese Strategie hat sich zugegebener Maßen als sehr effizient erwiesen - wirkt sie doch noch bis in unsere Tage nach. Das unterschiedliche Los Soltyks und Hebenstreits lässt sich auf die Tatsache zu­rückführen, dass Soltyk erstens ein Graf und zweitens ein bekannter Patriot war. Eine Anklage und Verurteilung hätte wahrscheinlich die internationale Aufmerk­samkeit auf diesen Prozess gelenkt und überdies die Gefahr in sich geborgen, aus Soltyk einen Märtyrer zu machen. Keines von beiden konnte in der Absicht der Polizei und des Kaisers liegen. Aber Soltyk freizusprechen, der immerhin die Reise aufgetragen und finanziert hatte, und Hebenstreit zum Tode zu verurteilen, weil er seine Pläne jenem zur Verfügung gestellt hatte, wäre auch nicht möglich gewesen. So blieb nur übrig, Soltyk überhaupt nicht vor Gericht zu stellen, sondern ihn als Geisel zu verhaften, um ihn auf diese Weise für einige Zeit aus dem Verkehr zu ziehen und seine Rolle zu verschleiern. Aus diesem Grund zögerte die Polizei auch nicht, Soltyk gegen jedes bessere Wissen zu entlasten: Graf Saurau, der stellver­tretende Polizeiminister, schrieb, dass man nicht beweisen könne, dass Soltyk „von der Absicht gewusst habe, in welcher Held und Denkmann [...] nach Paris gereiset sind“.62 * Diese Behauptung ist ebenso falsch wie lächerlich und zeigt nur noch einmal, dass es der Polizei nicht darum gegangen ist, Verbrechen aufzuklären, sondern Verbrechen zu konstruieren - das heisst, die Wiener Jakobiner zu Hochverrätern zu machen. Indem sie Soltyks Rolle ausklammerte, machte sie die Jakobinerprozesse 61 W an german n : Joseph (siehe Anm. 2), S. 156. 62 Vortrag Sauraus, 30. August 1794. In: V i v en o t: Quellen 4 (siehe Anm. 5), S. 332, n.*; AVA, PHSt. 896/1794, fol. 10 (siehe Anm. 51), für den Kontext siehe Anhang 4. 361

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