Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
PASETZKY, Gilda: Zwei Wiener Jakobiner und ihre Reise nach Frankreich
Zwei Wiener Jakobiner und ihre Reise nach Frankreich Polen - Soltyk Graf Stanislas von Soltyk, geboren 1751, war einer der berühmtesten polnischen Patrioten. Auf Grund seiner Herkunft (er war ein Neffe des durch konsequentes Eintreten für Polens Freiheit bekannten Bischofs Gaetan Soltyk) und seiner engagierten politischen Tätigkeit für sein Vaterland ging er noch zu seinen Lebzeiten in die Geschichts- und Legendenschreibung ein.’ Als Abgeordneter von Krakau war er maßgeblich an der Ausarbeitung der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 beteiligt1 * * 4 - der ersten modernen Verfassung auf europäischem Boden. Diese Konstitution blieb jedoch nicht lange in Kraft, da eine Gruppe unzufriedener polnischer Adeliger Rußland zu Hilfe rief. Dies bot der Zarin Katharina II. den willkommenen Anlass, gemeinsam mit Preußens König Friedrich Wilhelm II. in Polen einzufallen. Der Widerstand der zahlenmäßig weit unterlegenen Armee des polnischen Generals Kosciuszko wurde von den vereinten Heeren in erbitterten Kämpfen gebrochen. Am Ende steht die zweite Teilung Polens. Von dieser Teilung im Jahre 1793 blieb Österreich ausgeschlossen, da es sich kurz zuvor von denselben beiden Mächten, Rußland und Preußen, in den langwierigen Krieg gegen Frankreich treiben ließ. Polens Patrioten, sofern sie sich den neuen Gegebenheiten nicht anpassen wollten, wurden gezwungen, das Land zu verlassen. Unter den Vertriebenen befand sich auch Soltyk. Im Juni 1793 hatte ihn der russische General Ingelstrom vor die Wahl gestellt, Warschau innerhalb von 24 Stunden zu verlassen oder inhaftiert zu werden.5 Der französische Agent in Leipzig, Parandier, erwähnte diesen Vorfall in einem seiner Schreiben an seinen Außenminister: Dieser despotische Willkürakt hat seine Ursache darin, daß Monsieur Soltyk als Abgeordneter von Krakau am letzten Reichstag dort die Menschenrechte predigte und die „wohlwollenden“ Absichten Katharinas II. geißelte, und daß er in Verbindung mit den Pariser Jakobinern und den Emigrierten in Leipzig stehen soll.6 Soltyk floh, wie schon viele seiner Landsleute vor ihm, nach Leipzig.7 Der Kurfürst von Sachsen nahm am Schicksal Polens großen Anteil, da er noch immer 1 Biographie Universelle et portative des Contemporains ou dictionnaire historique des hommes vivants et morts depuis 1781 jusqu’ä nos jours. Paris 1826-1831, S. 1349 f. 4 Ebenda. 5 Geheimer Polizeibericht von Saurau, Wien, 8 Mai 1794. ln: Quellen zur Geschichte der Deutschen Kaiserpolitik Österreichs während der französischen Revolutionskriege 1 790- 1 80 1 , hrsg. von Alfred Vivenot, Bd. 1-4. Wien 1885, Bd. 4, S. 212. Andere Informationen zu Soltyk, ebenda S. 197 f., 212-214, 227, 234-243. 6 Archives du Ministére des affaires étrangéres, Paris, correspondance politique [in Hinkunft: MAE, c.p.] Pologne 321, fol. 363, Parandier an Lebrun, Leipzig, 23. Juni 1793. Original auf Französisch. 7 MAE, c.p. Saxe, Electorale et Royale 73, fol. 103, Béchélé an Deforgues, 11. August 1793. 349