Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

LILLA, Joachim: Die Vertretung Österreichs im Großdeutschen Reichstag

Joachim Lilla I. Die Rechtsgrundlagen Im „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ vom 13. März 19383, in dessen Artikel I der „Anschluß“ pro­klamiert und vollzogen wurde, hieß es in Artikel II: Sonntag, den 10. April 1938 findet eine freie und geheime Volksabstimmung der über zwanzig Jahre alten deutschen Männer und Frauen über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich statt. Gemäß Artikel III „entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen“. In Ar­tikel IV wurde eine - allerdings zunächst an keine bestimmte Institution adressierte — Ermächtigung ausgesprochen, dass „die zur Durchführung und Ergänzung des Artikels II [...] erforderlichen Vorschriften [...] durch Verordnung getroffen“ wer­den. Durch Artikel V Abs. 2 wurde die österreichische Bundesregierung4 mit der Vollziehung des Gesetzes betraut. Durch Artikel III des (deutschen) Gesetzes5 6 vom selben Tage wurde allerdings auch der Reichsminister des Innern ermächtigt, im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministem die zur Durchführung und Er­gänzung dieses Gesetzes5 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlas­sen. Am 13. März 1938 betraute Adolf Hitler außerdem Gauleiter Bürckel „als kom­missarischer Leiter der NSDAP in Österreich mit der Vorbereitung der Volksab­stimmung“, wobei er Bürckel „mit der Vollmacht ausgestattet hat, alle Maßnahmen zu ergreifen oder anzuordnen, die zur verantwortlichen Erfüllung des erteilten Auftrages erforderlich sind“7 *. Bürckel hatte sich mit der Vorbereitung und erfolg­reichen Durchführung der Volksabstimmung an der Saar 1935 als für eine solche Aufgabe geeignet empfohlen*. Somit waren bereits am Tage des „Anschlusses“ die Weichen für die Volksabstimmung nicht nur hinsichtlich des Termins gestellt, sondern auch drei verschiedene Institutionen - Österreichische Landesregierung, Reichsminister des Innern, Gauleiter Josef Bürckel als „Beauftragter des Führers für die Volksabstimmung“ - in deren organisatorische Vorbereitung eingebunden, 3 Gesetzblatt [in Hinkunft: GBl ] für Österreich Nr. 27/1938, hier zitiert nach: Pfeifer, Helfried (Hrsg): Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung. Historisch-systematische Gesetzes­sammlung nach dem Stande vom 1. April 1941. Wien 1941, S. 19f. 4 Ab 15. März 1938: Österreichische Landesregierung. 5 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938, Reichsgesetzblatt [in Hinkunft: RGBl ] 1938 I, S. 237. 6 Das österreichische Gesetz wurde als Artikel I in das deutsche Gesetz übernommen. 7 Nach Pfe i fer: S. 22f. * Vgl. neuerdings Muskalla, Dieter: NS-Politik an der Saar unter Josef Bürckel. Gleichschal­tung- Neuordnung - Verwaltung. Saarbrücken 1995 (Veröffentlichungen der Kommission für saarländische Landeskunde und Volksforschung 25). 230

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