Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

gen von Seiten Brods entstanden waren.193 Die Pfänder wurden geschätzt und zum Verkauf freigegeben,194 worauf Niesser beim Reichshofrat um Revision einkam.'95 Der in Folge vor dem Reichshofrat geführte Revisionsprozess zog sich nicht nur einige Jahre (1622-1629) hin, sondern war durch so konträre Darstellungen des Sachverhalts und gegenseitige Unterstellungen geprägt, dass sich aus den wechsel­seitigen Supplikationen zwei nur wenig übereinstimmende Sichtweisen ergeben. Nicht nur die außergewöhnlichen Bedingungen der Schuldverschreibung verdienen eine etwas genauere Betrachtung, sondern auch ein Gutachten des Reichshofrats, der den Fall unterschiedlich zum Obersthofmarschall bewertete. Ffierbei ist beson­ders auf den rechtlichen Interpretationsspielraum und die darauf folgende Urteils­findung zu achten, anhand derer gezeigt werden kann, dass Rechtsnormen eben nur einen Rahmen vorgaben, innerhalb dessen die spezifische Rechtsstellung erst ge­funden werden musste. Da das für Juden geltende Recht generell als supplementä­res Recht ohne eigenständige Geltung betrachtet werden muss, setzt sich diese Rechtsstellung im Einzelnen aus den allgemeinen Rechtssatzungen, den Privilegien der Judengemeinde sowie den Einzelprivilegierungen zusammen.196 197 198 Zunächst allerdings zum Schuldbrief, in dem besonders die hohe Zinsforderung von einem Putschendlm pro Gulden pro Woche (was etwa einem Jahreszinssatz von 30% entspricht)19* aus dem Grund auffällt, da der allgemein vorgeschriebene „Judenzins“ nicht über sieben Prozent liegen durfte.199 Trotz zahlreicher Wucherbe­193 Urteil des Obersthofmarschalls Bernhard von Herberstein, HHStA, RHR, APA, Kart. 125, unfol., Wien, 6. Oktober 1621, Joseph Niesser et. Leb Brod puncto revisionis actorum (1629). Leb Brod hatte das verliehene Geld selbst gegen Zinsen geliehen. 194 Ebenda, unfol., o. O. [Wien], o. D., Schätzung der bei Leb Brod versetzten Wahren. Schätzung des versetzten Tuchs, ebenda, unfol., o. O., 22. Dezember 1621. Urteil des Obersthofmarschalls zur Herausgabe der Pfänder aus dem Hofmarschallamt, ebenda , unfol., o. O. [Wien], 11. Jänner 1622. 195 Die Revision wurde am 1. September 1622 bewilligt. Ebenda, unfol., Wien, 1. September 1622, Dekret an den Obersthofmarschall ratione acceptata revisiones. Zur Eingabe von Niesser vgl. HHStA, RHR, Prot. Res. XVII, Bd. 62, fol. 178r_v, 4. August 1622. Supplikationen Niessers an den RHR Dr. Bernhard Hoßmüller sind auch in folgenden Beständen zu finden: HHStA, RHR, Ju­dicialia Miscellana, Kart. 72 (R4), unfol., o.O., o.D. [präs. 3. August 1622], ebenda, Fiskalarchiv, Kart. 11, unfol., Wien, 19. November 1622. In : HHStA, RHR, Judicialia Miscellana, Kart. 72 (R4), unfol. befindet sich auch ein weiteres RHR-Gutachten, auf welches hier nicht eingegangen werden konnte. 196 Dazu Battenberg : Privilegierung (wie Anm. 121), S. 149 f. Vgl. auch derse 1 be : Rechtliche Rahmenbedingungen (wie Anm. 122), S. 50. 197 Drei Putschendl entsprechen einem Kreuzer (60 kr. = 1 fl ). 198 Schuldobligation Joseph Niessers (wie Anm. 190). Siehe auch: HKA, N.Ö. Münz- und Bergwe­sen, r. Nr. 14, fol. 1 059r-l 082v (1621), wo die Verluste Niessers durch die Münzsteigerung an­gesprochen werden. 199 Vgl. z. B. Generalmandat Ferdinands II. über den Wucher, 11. September 1626, in: Codex Aus- triacus, Pars II (Wien 1704), S. 509 f. Hier wird ein Zinssatz von höchstens 7% vorgeschrieben. In Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 120 f., Nr. 75 (Patent Ferdinands II., Verbot wu­190 Lydia Gröbl - Sabine Hödl - Barbara Staudinger

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