Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

Steuern, Privilegien und Konflikte Stimmungen der Kaiser waren die Wiener Juden privilegiert, wesentlich höhere als die allgemein üblichen Zinsen zu nehmen,200 was allerdings auf erheblichen Wider­stand gestoßen sein dürfte. Während sich im Urteil des Obersthofmarschalls kein Hinweis auf den Zinssatz befindet, setzte sich der Reichshofrat ausführlich damit auseinander und wies darauf hin, dass die Zinshöhe dem göttlichen Recht und den Reichsabschieden zuwiderlaufe und außerdem unüblich sei. In dieser Auslegung wäre auch der Vertrag zwischen Niesser und Brod ungültig.201 Hinter dieser Interpretation des Reichshofrats über die legitime Zinshöhe steckt in diesem Fall das Eigeninteresse des Kaisers bzw. der Hofkammer, denn die Pfän­der, die von Joseph Niesser versetzt worden waren, bestanden zum Teil aus Tuch, das zur Ausstattung des kommenden Deputationstags in Regensburg dienen soll­te.202 Es ist daher anzunehmen, dass der Hofzahlmeister für die Hofkammer diesen Kredit auf seine Person aufgenommen hatte.203 Das obersthofmarschallische Urteil cherischer Geldgeschäfte) ist nur ein Wucherpatent für die Zeit von 1620 bis 1670 ediert. Ergän­zend dazu siehe Codex Austriacus, Pars. II, S. 297 f. (Patent Rudolfs II. gegen den Wucher, 18. Juli 1589). 200 HHStA, RHR, APA, Kart. 125, unfol., o. O. [Wien], 7. Oktober 1623, Joseph Niesser ct. Leb Brod puncto revisionis actorum (1629), gerichtliche Relation an den Obersthofmarschall Losenstein: [Es seien] die juden von der röm. ksl. Mt. befreit, wöchentlich ein putschaindel von ainem gulden interessé zunehmen, deren freybrieff bey hof viel außgefertigt worden [...]. Dieses hier angespro­chene Privileg ist weder in der Forschungsliteratur erwähnt, noch konnte es bisher in den durch­gesehenen Archivbeständen gefunden werden. 201 Ebenda, unfol., Wien, 3. März 1622, Aufzeichnungen des RHR: [Daher] hat es zwahr ein starkhen schein, alß solte dise obligation ratione stipulatarum usurarum nit allein den reichsab- schiten in vil weegen, sondern auch den göttlichen rechten Selbsten zu wider und dahero gantz ungültig sein [...]. 202 Ebenda, unfol., Wien, 4. Oktober 1622, Aufforderung des Obersthofmarschalis Losenstein an Leb Brod, die beschlagnahmten Pfänder der Hofkammer zur Verfügung zu stellen. Obwohl in der Quelle ein „Kurfürstentag“ erwähnt wird, wird wohl der Regensburger Deputationstag 1623 ge­meint sein. Hinweise darauf, dass der Regensburger Reichstag von 1630 früher geplant und dann verschoben war, oder dass der Kurfürstentag in Mühlhausen von 1627 ursprünglich in Regensburg stattfinden hätte sollen, konnten weder in Becker, Winfried: Der Kurfürstenrat. Grundzüge sei­ner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfalischen Friedenskon­gress. Münster 1973 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte e.V. 5), noch bei Albrecht, Dieter: Der Regensburger Kurfürstentag und die Entlassung Wallen­steins. In: Regensburg - Stadt der Reichstage. Vom Mittelalter zur Neuzeit, hrsg. von Dieter Al­brecht. Regensburg 21994 (Schriftenreihe der Universität Regensburg 21), S. 88-108, gefunden werden. Zur Abrechnung der Livree für den Deputationstag, siehe etwa HKA, HZB, Bd. 74 (1624-1625), fol. 44v-49'. Niesser erwähnt mehrere Kredite, die er für die Ausstattung des kai­serlichen Hofstaats aufnehmen musste, vorliegender Kredit ist jedoch nicht erwähnt. 203 HHStA, RHR, APA, Kart. 125, unfol., o.O. [Wien], o.D. [Aktenvermerk 23. August 1622], Joseph Niesser ct. Leb Brod puncto revisionis actorum (1629), Supplikation von Niesser an Ferdinand II. Anfangs nun so vernehmen euer Mt. auß heiligender obligation A welcher massen ich zu ksl. ambts außgaben under andern posten auch bei dem Leb Broth, hoffjuden alhier, verschines 1620 Jahrs 7 100 fl. reinisch haubtguet gegen hohen interessé [...] nothalber anticipirn und neben dem eingesezten pfandt, so etlich frühen mit wahren gewesen, mich in proprio verobligirn müessen. 191

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