Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

Lydia Gröbl - Sabine Hödl - Barbara Staudinger Streichung wird von Seiten des Klägers „Neid und Missgunst“ angegeben, was ein Hinweis auf Auseinandersetzungen in Bezug auf wirtschaftliche Belange sein könnte.169 Kallstatt war bei der ungarischen Münzprägestätte in Pressburg beschäf­tigt gewesen und dürfte dort einen wirtschaftlichen Aufstieg erlebt haben, auch wenn er nicht die Bedeutung von Abraham Ries im Münzgeschäft erlangte.'70 In einer Beglaubigung der Österreichischen Hofkanzlei hingegen wird die Argumen­tation von Ries für die Tilgung Kallstatts aus dem Privileg angeführt, in der die Streichung nicht wie von Kallstatt als eigenmächtige Handlung, sondern als recht­lich legitimer Vorgang dargestellt und mit Undank und „Widerwärtigkeiten“ sei­tens Kallstatts begründet wird.171 Aus diesem Streit entwickelte sich in Folge ein komplizierter Prozess, der an verschiedenen Instanzen, teilweise auch gleichzeitig, geführt wurde. 169 Supplikation von Lew Kallstatt an den Obersthofmarschall, HHStA, RHR, Revisiones, Kart. 9/2, Hofmarschallische Gravamina betreffend Abraham Ries und Lew Kallstatt (1624), unfol., o. O. [Wien], o. D. [vor 3./4. März 1624], Supplikation von Lew Kallstatt an die Ungarische Kammer. Kallstatt spricht hier seine Tätigkeit im Münzhaus von Preßburg an und bittet um Hilfe der Unga­rischen Kammer in seinem Prozess. Die Streichung aus dem Privileg von Abraham Ries soll wäh­rend seines Aufenthalts in Preßburg ohne sein Wissen vorgenommen worden sein. Hoch und wol- geborn, genedig und hochgebiettund herrn. eur genaden tragen genediges wissen, daß massen ich mich alhier zu Presbuerg in namen und an statt meiner mitconsorten in ihrer röm. ksl. Mt. münz­haus ein zeit lang in diensten habe gebrauchen lassen, inmittels aber und abwessendt hat Ab­raham Rieß, befreyder hoffjudt, mihr meine höchstgedachter ksl. Mt. auß gnaden erthailte privi­legia und freyheiten auß lautter neidt und haas ohne ainzige uhrsach zueruckh geben. 1711 HHStA, RHR, Revisiones, Kart. 9/2, Hofmarschallische Gravamina betreffend Abraham Ries und Lew Kallstatt (1624), unfol., o. O. [Wien], o. D. [vor 3./4. März 1624], Die Beteiligung Lew Kall­statts am Münzgeschäft ist im Gegensatz zu Abraham Ries nicht durch Forschungen belegt. Ab­raham Ries und Veit Brod prachten 1618 die Münze von Graf Paul Sixt Trautson auf dem Schloss Falkenstein bei Nikolsburg, verlegten diese jedoch bald nach Wien. Ries trat vergeblich 1621 als Pachtwerber für die kaiserliche Münze in Wien auf, bis sich die Hofkammer schließlich ent­schloss, mit den Wiener Juden über die Verpachtung des Wiener Münzwesen zu verhandeln. Vgl. N e w a 1 d , Johann: Die lange Münze in Oesterreich. Ein Beitrag zur österreichischen Finanz- und Münzgeschichte. In: Numismatische Zeitschrift 13, o.O. 1881, S. 88-132, hier S. 93-95. Die ge­samte moderne Forschungsliteratur bezieht sich hierzu auf Newald. So. z. B. Roth, Paul W.: Die Kipper- und Wipperzeit in den Habsburgischen Ländern, 1620 bis 1623. ln: Geld und Währung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Referate der 14. Arbeitstagung der Gesellschaft für Wirt­schafts- und Sozialgeschichte vom 9. bis 13. April 1991 in Dortmund, hrsg. von Eckhart Schrem- mer. Stuttgart 1993 (Vierteljahresschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Beihefte Nr. 106), S. 58-103, hier S. 90. Vgl. Schwarz: Geschichte der Juden (wie Anm. 1), S. 56 f., Anm. 7. Für Kallstatt ging es nach dem Verlust seiner Hofbefreiung bei der Münze auch um die Frage, ob sei­ne wirtschaftlichen Tätigkeiten illegal waren. Zur Beteiligung der Wiener Juden an der Münzprä­gung siehe auch Hödl: Geschichte (wie Anm. 3), S. 206-212. „[Es] ist somit davon auszugehen, dass Wiener Juden vor Übergabe des Münzwesens an des Konsortium rund um Hans de Witte für ein Jahr lang die Wiener Münzstätte betrieben“ (S. 210). Zum böhmischen Münzkonsortium vgl. etwa: Probszt, Günther: Österreichische Münz- und Geldgeschichte. Von den Anfängen bis 1918. Teil 2. Wien-Köln-Weimar '1994, S. 428 f. Siehe die Literaturangaben dort. 171 Attestation der Österreichischen Hofkanzlei für Abraham Ries, AVA, Salbuch Nr. 27, fol. 528v- 529v' Wien, 26. November 1624. 184

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