Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

Steuern, Privilegien und Konflikte risch herausgegriffen werden. Ein Prozess zwischen zwei Wiener Juden sowie ein Prozess, der die Konfliktpunkte zwischen Juden und ihrer christlichen Umwelt zu veranschaulichen hilft, sollen hierbei die oben beschriebene Rechtsentwicklung der Judengemeinde in Wien in den Kontext der jüdischen Rechtswirklichkeit setzen. Die Inbezugsetzung von rechtlichen Bestimmungen bzw. Privilegien und ihrer Handhabung soll dazu dienen, den rechtlichen Handlungsspielraum der Juden kon­kreter definieren zu können, als dies in der bisherigen Forschung geschehen ist.166 Auf Grund der reichhaltigen Quellenlage wurden hier zwei Prozesse von Wiener Hofjuden herausgegriffen, deren rechtlicher Status sich von anderen, nicht hofbe­freiten Juden unterscheidet und deren Handlungsspielraum nicht zuletzt auf Grund ihrer meist größeren finanziellen Ressourcen weiter war. Verschiedene Argumen­tationsmuster bzw. Strategien, die in den beiden Prozessen zu finden sind, können jedoch beispielhaft für Handlungsmöglichkeiten von Juden vor den Reichsgerich­ten herangezogen werden. Privilegien als Konfliktpunkte - Abraham Ries contra Lew Kallstatt Der Prozess zwischen den beiden Hofjuden Abraham Ries und Lew Kallstatt zeigt einen möglichen Konfliktpunkt auf, den Einzelprivilegien nach sich ziehen konnten. Letzterer war in der Hofbefreiung von Abraham Ries miteingetragen,'67 bis ihn dieser 1624 aus seinem Privileg streichen ließ, und Kallstatt samt Frau und Kindern durch den Stadtrichter der Stadt verwiesen wurde.168 Als Grund für diese 166 Die Forschungsliteratur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts trug durch ihre sehr bildhafte und emotionale Sprache einerseits und durch die Konzentration auf landesfürstliche Quellen ande­rerseits dazu bei, dass Fragen nach dem rechtlichen Handlungsspielraum bisher nicht gestellt wurden. Zur älteren Forschungsliteratur siehe oben Anm. 1, sowie die anderen, in diesem Aufsatz angegebenen älteren Werke. 167 Vgl. Hofbefreiungsprivileg von Abraham Ries, AVA, Salbuch Nr. 27, fol. 489,-492r, Wien, 29. August 1622. Neben Abraham Ries sind in diesem Privileg dessen Brüder Simon, David, Elias und Lembl sowie die Brüder Lazarus, lsak, Jakob und Simon von Fürth wie auch Lew Kallstatt und Elias und Samson von Ottingen samt ihren Ehefrauen, Kindern, Verwandten und Brotgenos­sen als Hofjuden miteingetragen. Neben dieser Auflistung ist vermerkt: N. der Lew Kalstatt ist anno 1624 auß dem privilegio herauß und an sein statt dess Risen vettern hinein gesetzt worden. Abraham Ries hatte allerdings schon vor August 1622 einen Schutzbrief inne. Siehe HHStA, Reichskanzlei [in Hinkunft: Rk], Taxbücher, Bd. 149, fol. 141', 18. Jänner 1622. Schuz und schirmbrief für Abraham Rißen. befreyden hofjuden alhie zu Wien, für sich, seine bruedern, wei- ber, khinder und brodtgesindt. Hier sind allerdings außer seinen Brüdern keine anderen, mitein­getragenen Personen erwähnt. Bereits 1621 hatte Abraham Ries beim Reichshofrat um Umschrei­bung seines Schutzbriefes und Extension auf seinen Bruder angesucht. HHStA, RHR, Prot. Res. XVII, Bd. 59, fol. 243', 4. Dezember 1621. 168 Supplikation von Lew Kallstatt an den Obersthofmarschall, HHStA, RHR, Revisiones, Kart. 9/2, Hofmarschallische Gravamina betreffend Abraham Ries und Lew Kallstatt (1624), unfol., o. O. [Wien], 19. Februar 1624. Lew Kallstatt beteuert hierin, dass er von der Streichung nichts wüsste und wendet sich um Schutz und Schirm an den Obersthofmarschall. 183

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