Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Steuern, Privilegien und Konflikte besondere Sympathie als vielmehr durch das Interesse an pünktlich einlangenden Zahlungen sowie durch den Wunsch, dass innerjüdische Konflikte in Zukunft intern geregelt und nicht an den Kaiser bzw. Obersthofmarschall herangetragen werden sollten, motiviert. Die sechs von den Regelungen vom November 1632 ausgenommenen Hofjuden erhielten dieses Vorrecht wahrscheinlich auf Grund finanzieller oder wirtschaftlicher Interessen Ferdinands II. Der Herrscherwechsel als Zeit rechtlicher Unsicherheit Anders als beim Wechsel von Matthias zu Ferdinand II. kam es bald nach dem Regierungsantritt Ferdinands III. zum Verlust bisher erworbener Rechte für die Wiener Juden.146 Im Mai 1638 wurde durch eine kaiserliche Resolution bekannt gegeben, dass der Kaiser beschlossen hatte, keine befreiten Hofjuden mehr zu „halten“ und deswegen die im Ghetto lebenden Juden ohne Unterschied dem bürgerlichen Magistrat unterstellt werden sollten. Der Obersthofmarschall sollte sich in Zukunft jeglicher Jurisdiktion über die Juden enthalten.147 Diese Entscheidung wurde kurz darauf dem Magistrat der Stadt Wien mitgeteilt und weiters festgehalten, dass den Juden nur noch zwei Gewölbe in der Stadt zustehen würden, in denen sie die bei ihnen befindlichen Pfänder von christlichen Schuldnern aufbewahren könnten. Den Juden wurde jeglicher Handel in der Stadt untersagt, wie sie sich auch nicht mehr bei Hof oder in der Burg aufhalten durften.148 Bald darauf wurde dem Obersthofmarschall aufgetragen, sämtliche bei ihm noch anhängigen Fälle - trotz seines gegenteiligen Ansuchens - an die in Wien für Realsachen zuständigen Behörden bzw. an das kaiserliche Stadtgericht für Personal- und Kriminalangelegenheiten zu übergeben.149 Nach dieser deutlichen Einschränkung ihrer Rechte gelang es den Juden im November 1638, einen Schutzbrief von Ferdinand III. zu erhalten, welcher sich allerdings in einigen Punkten von der Privilegierung durch Ferdinand II. unterschied. Es wurde noch einmal festgehalten, dass die Juden ihre Geschäftsgewölbe nur noch vor der Stadt haben durften, abgesehen von vier (!) versperrten Gewölben zur Aufbewahrung der von Christen gegebenen Pfänder. Der kaiserliche Schutz und 146 Siehe hierzu auch Grün wa ld : Geschichte (wie Anm. 1), S. 3. 147 Hofdekret Ferdinands III. an den Obersthofmarschall, 22. Mai 1638, AVA, Oberste Justiz, Karton Nr. 136, Hofkommission, Alte Miscellanea, Fasz. Lit. J., Nr. 1195, und Hofdekret Ferdinands III. an die niederösterreichische Regierung, 22. Mai 1638, ebenda, Nr. 1196. 148 Intimation im Auftrag des Kaisers durch die niederösterreichische Regierung an den Magistrat von Wien, 2. Juni 1638, Wiener Stadt- und Landesarchiv [in Hinkunft: WStLA], Hauptarchivakten Nr. 15/1638. Druck bei Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 125, Nr. 80/1, und bei Csendes, Peter: Die Rechtsquellen der Stadt Wien. Wien-Köln-Graz 1986 (Fontes Rerum Austriacarum 1II/9), S. 327 f„ Nr. 85. 149 Intimation im Auftrag des Kaisers durch die niederösterreichische Regierung an den Magistrat von Wien, 30. Juni 1638, in Pr i bram : Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 128, Nr. 81. 177