Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Lydia Gröbl - Sabine Hőd! - Barbara Staudinger hielten die Juden die Erlaubnis, in allen genannten Zivilsachen, außer Kriminaloder anderen schweren Vergehen, selbst rechtliche Schritte zu setzen, eine Strafe zu verhängen und für diesen Zweck ein Gefängnis im Ghetto zu erbauen. Diese Regelungen galten bis aus Widerruf, bedeuteten jedoch keinerlei Einschränkung der Jurisdiktionsbefugnisse des Obersthofmarschalls. Außerdem sollte diese den Juden gewährte Ausdehnung der Strafmittel nicht missbraucht und beschuldigten Juden die Möglichkeit zur Beschwerde bei der Obrigkeit nicht genommen werden. Bei Zuwiderhandlung wurde mit dem Verlust der gewährten Rechte gedroht.144 Im Juni des folgenden Jahres gelang es sechs hofbefreiten Juden, eine Ausnahmeregelung von diesen Bestimmungen zu bekommen, so dass sie davon gänzlich ausgenommen wurden. Daraufhin dürfte es zu Unstimmigkeiten und Konflikten innerhalb der Wiener jüdischen Gemeinde gekommen sein, denn auf kaiserlichen Erlass wurde die Exemtion der sechs Juden 1635 wieder aufgehoben - allerdings wurde einer der sechs, Salomon Mayr, davon wiederum ausgenommen, da er vom Kaiser ein für drei Jahre gültiges Privileg „gegen“ die restlichen Wiener Juden erlangt hatte.145 Mit diesen Entwicklungen zeigt sich, dass Ferdinand II. gewillt war, den Juden möglichst große Rechtsfreiheit einzuräumen. Dies war wohl weniger durch eine 144 Patent Ferdinands II., 23. November 1632, AVA, Salbuch Nr. 45, fol. 428r-430r, und AVA, Oberste Justiz, Karton Nr. 136, Hofkommission, Alte Miscellanea, Fasz. Lit. J., Nr. 1114. Druck bei Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 113-116, Nr. 72. Siehe dazu auch Kaufmann: Vertreibung (wie Anm. 1), S. 28-29. 145 Intimation im Auftrag des Kaisers an die Wiener befreiten Hotjuden, 3. März 1635, in Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 122 f., Nr. 76. Diese Angelegenheit ist mit den bis jetzt zur Verfügung stehenden Materialien nicht gänzlich zu klären. Zumindest wird klar, dass einige der hofbefreiten Juden versucht hatten, aus den für alle geltenden Bestimmungen auszuscheren. Da bisher auch das in diesem Erlass erwähnte Privileg des Salomon Mayr nicht aufgefunden werden konnte, ist die Formulierung doch außer des Salomon Mayrs, seiner Kinder und Brotgenossen, als weicher von /. K. M. auf drey Jahr wider sy, die Judenschaft, dis Orts privilegiert ist nicht gänzlich zu klären, weist jedoch auf interne Streitigkeiten dieser Familie mit dem Rest der Gemeinde hin. Weitere Forschungsarbeiten werden hoffentlich der Erläuterung dieser Sache dienen und auch die Stellung der einzelnen Personen innerhalb der Gemeinde klären helfen. Kaufmann: Vertreibung (wie Anm. 1), S. 29 f., bleibt in dieser Frage sehr unklar. Missverständlich ist die Auslegung von Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 119, Nr. 74, der folgendes Regest zu einem Schreiben an den Obersthofmarschall vom 9. Juni 1633 abgefasst hat: „Die den Wiener befreiten Juden mit Privileg vom 23. Nov. 1632 gegebene Jurisdiktion beziehe sich nur auf die in der Kontributionserlegung säumigen und ungehorsamen Juden, dann auch auf die fremden Juden, die sich bei Juden und Christen einschleichen und den Rabbinern, Richtern und Ältesten keinen Gehorsam leisten wollen. Die befreiten Hofjuden aber und ihre Mit- und Brotgenossen bleiben auch ferner unter der Jurisdiktion des Obersthofmarschalls.“ Diese Bestimmung bzw. deren Interpretation durch Pribram ist nicht schlüssig, da im Patent von 1632 ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Befugnisse des Obersthofmarschalls in ihrer Gesamtheit bestehen blieben. Die von Pribram gesichtete Vorlage zu diesem Regest ist im AVA, wo dieses Dokument liegen sollte, nicht vorhanden. Aufschlußreicher ist die oben erwähnte Aufhebung dieser Regelung durch den Kaiser von 1635. 176