Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

Steuern, Privilegien und Konflikte Die Anerkennung als jüdische Gemeinde 1620 Nach der seit den Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts langsam erfolgten Wie- deransiedlung von Juden in Wien kam es 1620 durch ein Patent Ferdinands II. zur erstmaligen offiziellen Anerkennung der im Lauf der Jahre entstandenen jüdischen Gemeindeorganisation.'21 Im Februar 1620 hatten die Wiener Juden eine Supplika­tion an den Kaiser gerichtet, mit der sie auf eine Regelung verschiedener Punkte abzielten: Einerseits ging es um die Bestätigung der bis dahin bereits erlangten Freibriefe für einzelne Juden und ihre Angehörigen und Angestellten mit allen darin enthaltenen Rechten, wie die ungestörte Ausübung der Handelsgeschäfte und Bezahlung der üblichen Mautgebühren gleich den christlichen Hofhandelsleuten einschließlich der Bestimmung, dass sie davon bei Reisen zum bzw. mit dem kai­serlichen Hof befreit seien. Andererseits baten sie um eine eindeutige Regelung, was mit Pfändern, die innerhalb eines Jahres nicht ausgelöst wurden, zu geschehen hätte.121 * * 124 Weiters wünschten sie eine Festschreibung des Rechts, dass nur vor der für sie zuständigen juridischen Instanz Klage gegen sie geführt werden dürfe und dass ihnen von Hof aus die Benutzung von Quartierzimmem gestattet werde. Die unge­störte Ausübung ihrer Religion mit den dazugehörigen Zeremonien sollte ebenso gewährleistet werden wie die Bestätigung ihres von der Familie Munk an alle Wie­ner Juden übergebenen Rechts, eine schuel und sinagog einzurichten und zu erhal­ten.125 Nach einer Reihe von Einzelprivilegierungen im Frühjahr 1620 erließ Ferdi­nand II. im Juli desselben Jahres ein Patent, mit dem er den Juden die Ausübung ihrer Religion und allen dazugehörigen Bedingungen, wie in der oben erwähnten Supplikation erbeten, gestattete. Sie erhielten das Recht, gleich Juden an anderen Orten eine Synagoge und „schuel“ nach ihren Möglichkeiten zu errichten und die jüdischen Zeremonien auszuüben, den großen Bann und Fluch zu benutzen, einen Ältestenrat als Vertretung der Gemeinde, einen unparteiischen Rabbiner, einen 121 Zur Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Wien ab 1570 bis 1620 siehe ausführlich Hödl: Geschichte (wie Anm. 3), S. 132-158; Kaufmann: Vertreibung (wie Anm. 1), S. 1-32; Pri­bram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. XXV-XXXV1I; Schwarz: Geschichte (wie Anm. 1), S. 52-58. Siehe weitere Literaturangaben dort. 124 Die jüdischen Gläubiger baten um eine Festschreibung der Möglichkeit, diese Pfänder nach An­meldung bei der Obrigkeit, damit diese den Schuldner erinnern könnte, verkaufen zu können. Sollten Juden unwissentlich in den Besitz von Pfändern kommen, die gestohlen worden waren, sollten sie nach Bekanntmachung dieser Tatsache diese gegen Wiedererstattung ihres Geldes zu­rückgeben können. Wenn ein jüdischer Darlehensgeber jedoch verschwieg, dass er solche Pfänder in seinem Besitz habe, sollte er das Pfand oder den Wert dafür verlieren. Die Juden baten außer­dem darum, für fremde Anforderungen nicht herangezogen werden zu können. 125 Supplikation der Wiener Juden an Ferdinand II., präs. 29. Februar 1620, AVA, Alter Kultus - Israeliten, Karton Nr. 3 (IV T 5), fol. 17r-18v. Druck bei Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 59 f., Anm. 1. Der Begriff „schuel“ bezeichnet die Synagoge, die gleichzeitig auch als Lehrhaus sowie als Versammlungsort diente. 169

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