Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)
RAUSCHER, Peter: Recht und Politik. Reichsjustiz und oberstrichterliches Amt des Kaisers im Spannungsfeld des preußisch-österreichischen Dualismus (1740–1785)
Peter Rauscher Rede sein wird, den antikaiserlichen Kräften immer wieder die Möglichkeit, die Unparteilichkeit des Reichshofrats in Frage zu stellen und zu versuchen, dessen Kompetenzen einzuengen. Besonders der Vorwurf einer einseitig katholischen Rechtsprechung wurde dabei oft erhoben31, was eng mit der Besetzung des Gerichts zusammenhing, die allein dem Kaiser oblag. Alle Versuche von reichsständischer Seite, Einfluß auf die Bestellung von Reichshofräten oder die Reichshofratsordnung zu nehmen, wie sie beispielsweise in der Wahlkapitulation Ferdinands III. (Art. 45) oder dem Westfälischen Frieden (Art. V. §§ 54, 55 IPO) ihren Niederschlag fanden, waren mit der vom Kaiser „aus eigener Machtvollkommenheit“32 erlassenen Reichshofratsordnung vom 16. März 1654 trotz noch länger anhaltender Diskussionen gescheitert33. Auch ein Wiederaufflammen der Debatten im Rahmen der Kaiserwahl Karls VI. änderte daran letztendlich nichts.34 Zu einem Angriffspunkt seitens der protestantischen Reichsstände wurde dabei die konfessionelle Besetzung des Reichshofrats, bei der es auch nach 1648 anders als beim Reichskammergericht bei einem deutlichen Übergewicht katholischer Räte blieb35. Doch wesentlich fundamentaler als diese Streitigkeiten um verfahrenstechnische Gesichtspunkte griffen die im Zuge der zunehmenden konfessionellen Spannungen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts entwickelten protestantischen Verfassungsvorstellungen, die, indem sie religiöse Konflikte an die Regensburger Reichsversammlung verwiesen, die Berechtigung kaiserlicher Rechtsprechung in Religionsangelegenheiten negierten36. Obwohl dies von Kaiser Karl VI. zurückgewiesen wurde, entwickelte das Corpus Evangelicorum in den folgenden Jahren ein protestantisches Lehrgebäude, das der hierarchischen Ordnung des Reiches gegenübergestellt wurde37. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung bleibt Aretin: Reich. Bd. 1, S. 86 f.; Sellert: Reichshofrat, S. 25-32. 32 Sellert, Wolfgang (Hrsg.): Die Ordnungen des Reichshofrates 1550-1766. Halbbd. 2: bis 1766. Köln- Wien 1990 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 8, 2), S. 35. 33 Zu diesen Vorgängen e b e n d a, S. 12-45. 34 Ebenda, S. 264-268. 35 Die im Westfalischen Frieden vorgeschriebene paritätische Besetzung beider Reichsgerichte bei Prozessen zwischen Parteien unterschiedlicher konfessioneller Zugehörigkeit [Art. V, § 54 IPO, insgesamt zur Reichsjustiz §§ 53-58 IPO] wurde durch das Verfahren der „paritas ficta“ geregelt. Das heißt, „das einhellige Votum aller evangelischen Rhre. [= Reichshofräte] wurde ohne Rücksicht auf deren Zahl gleichgewertet wie das aller katholischen und wurde zur Stimmenmehrheit, wenn sich ihr auch nur ein katholischer Rhr. anschloß, während bei fehlender Stimmeneinhelligkeit auf protestantischer Seite die reine Stimmenmehrheit aller Votanten entschied“ (GSchließer: Reichshofrat, S. 75). Aus protestantischer Sicht wurde damit die vorgeschriebene Parität nicht erfüllt (vgl. auch Sellert: Reichshoffat, S. 34f.). Nach der Reichshofratsordnung von 1654 wurde die Zahl der katholischen Räte auf achtzehn, die der evangelischen, die allerdings oft unterschritten wurde, auf sechs festgelegt. 36 Vgl. zum Folgenden Haug-Moritz, Gabriele: Kaisertum und Parität. Reichspolitik und Konfessionen nach dem Westfälischen Frieden. In: Zeitschrift für historische Forschung [in Hinkunft: ZHF] 19 (1992), S. 445-482, besonders S. 467-473, hier S. 467 f. Die Ereignisse sind ausführlich dargestellt bei Aretin: Reich. Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684-1745). Stuttgart 1997, S. 41- 51, S. 163-172, S. 272-295. Zusammenfassend bei Stievermann, Dieter: Politik und Konfession im 18. Jahrhundert. In: ZHF 18 (1991), S. 177-199, hier S. 181-184. 37 Das protestantische und das kaiserliche Verfassungskonzept sind gegenübergestellt bei Haug-Moritz, Gabriele: Corpus Evangelicorum und deutscher Dualismus. In: Alternativen zur Reichsverfassung in der 274