Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)
EMINGER, Stefan: Gewerblicher Mittelstand in Österreich Zur Zeit der großen Depression. Organisation, Interessenpolitik und politische Mobilität im Gewerbe 1930–1938
Stefan Eminger nossenschaftsleitungen und Gewerbeverbände gestärkt wurde.63 In letztere Richtung zielten auch die Ernennung Raabs zum Referenten für Handel und Gewerbe in der Parteileitung Ende April 193364 sowie die Ersetzung des Heimatblockabgeordneten Jakoncig durch den christlichsozialen Parteigänger Friedrich Stockinger als Handelsminister Anfang Mai.65 Noch im Spätsommer erfolgte der Beitritt des Reichsgewerbebundes zur Vaterländischen Front,66 und Anfang 1934 umfaßte dieser staatli- cherseits protegierte Verband nach eigenen Angaben bereits 50 000 Mitglieder aus Gewerbe und Handel.67 Im Austrofaschismus bildete der Reichsgewerbebund den Kern eines der beiden Monopolgewerbeverbände. Eine andere Fraktion des „Deutschösterreichischen Gewerbebundes“ bemühte sich unterdessen um die Gründung einer eigenen Partei. Starke Impulse dafür kamen auch aus dem Niederösterreichischen Gewerbeverein, der schon 1930 an der Konstituierung des „Nationalen Wirtschaftsblockes“ mitgewirkt hatte.68 Nach einigen Anlaufschwierigkeiten glückte die Parteigründung im Jänner 1933 unter der Bezeichnung „Österreichischer Ständebund für Gewerbe und Handel“, dem sich mehrere Hagebünde umgehend angliederten.69 Aus den Reihen des „Deutschösterreichischen Gewerbebundes“ dürfte sich etwa ein Viertel der Mitglieder der neuen Partei zugewandt haben.70 In den Gründungsausschüssen der Gewerbepartei überwogen zwar die Sympathisanten der Christlichsozialen Partei, doch waren darin zugleich sogenannte „Betont - Nationale“ überproportional vertreten.71 * Seit Herbst 1933 dürfte es auch Personen, die der NSDAP nahestanden, gelungen sein, in den Funktionärsapparat des Österreichischen Ständebundes Eingang zu finden.75 Zu diesem Zeitpunkt stellte die Gewerbepartei aber keinen nennenswerten politischen Faktor mehr dar. Das „Programm“ des Ständebundes war inkonsistent und vom Fehlen einer bündigen Gesellschaftsanalyse gekennzeichnet. Es bestand aus einer Kompilation der gängigsten Forderungen des Gewerbes, wobei die darin enthaltenen Elemente einer Mittelstandsideologie stark akzentuiert wurden.73 * Als „rein wirtschaftliche Interes63 Matti: Gewerbeproteste, S. 58. 64 Dippelreiter, Michael: Julius Raab und der Gewerbebund. In: Brusatti, Alois - Heindl, Gottfried (Hrsg.): Julius Raab. Eine Biographie in Einzeldarstellungen. Linz [1986], S. 97-105, hier S. 99. 65 Matti: Gewerbeproteste, S. 5 8. 66 AdR, ParteiA/CSP, Parlamentsklub, Kt. 68, Mappe Gewerbe, Pressedienst des Österreichischen Reichsgewerbebundes in Wien, Nr. 1/33. 67 W i d m a n n: Die Gründung des Reichsgewerbebundes. S. 11. 68 Hubert, Rainer: Schober. „Arbeitermörder“ und „Hort der Republik“. Biographie eines Gestrigen. Wien-Köln 1990 (Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 15), S. 367. 69 AdR, BKA/Allg., SR, Sign. 15/3, GZ 108.816/1933, Kt. 2446, Gründungsversammlung des nö. Ständebundes für Gewerbe und Handel am 15.1.1933; ÖGZ 45 (21. Jänner 1933), S. 3. 70 Matti: Gewerbeproteste, S. 57. 71 Der Gewerbefreund 24 (September 1932); ebenda 24 (Dezember 1932); Heini: Über ein halbes Jahrhundert, S. 259. 75 Ö GZ 45 (21. Oktober 1933), S. 7. 73 ÖGZ 44 (31. Dezember 1932), S. 3. Zur Mittelstandsideologie siehe: Winkler, Heinrich August: Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. Die politische Entwicklung von Handwerk und Kleinhandel in der Weimarer Republik. Köln 1972, S. 117-120. 10