Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)
EMINGER, Stefan: Gewerblicher Mittelstand in Österreich Zur Zeit der großen Depression. Organisation, Interessenpolitik und politische Mobilität im Gewerbe 1930–1938
Gewerblicher Mittelstand in Österreich 1930 - 1938 senvertretung“ konzipiert, erblickte der Ständebund im Kampf gegen alle politischen Parteien und gegen die Ideologie des Klassenkampfes seine Hauptbetätigungsfelder.74 Schon bald nach ihrer Konstituierung gelang es der Gewerbepartei, enge Beziehungen zu Handelsminister Jakoncig herzustellen,75 doch leiteten der antiparlamenti- sche Kurs christlichsozialer Eliten sowie eine Reihe politischer Fehler, begangen bereits im Frühjahr 1933, ihren raschen Niedergang ein. Die Leitung des Ständebundes verstand es nicht, einen glaubwürdigen oppositionellen Kurs gegenüber den etablierten Parteien einerseits und der gewerblichen Spitzenvertretung andererseits zu steuern, ja sogar die Eigenständigkeit der Organisation wurde bald wieder aufgegeben, indem ein Bündnis mit dem politisch bereits schwer angeschlagenen Landbund herbeigefiihrt wurde.76 Die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Reichs-, Handels- und Gewerbebund im März 1934 war schließlich kaum noch von Relevanz.77 Der Reichs-Hagebund war zu diesem Zeitpunkt politisch weitgehend marginalisiert, und die Gewerbepartei hatte den Großteil ihrer Basis bereits verloren.78 Die Annäherung an die erstarkende NSDAP bildete eine weitere Option des in Bewegung geratenen Gewerbes. Wenige Monate vor den für die NSDAP so erfolgreich verlaufenen Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg im Frühjahr 1932 war in Wien der „N.S. Handels- und Gewerbering“ gegründet worden.79 Im Gegensatz zu den traditionellen Gewerbeverbänden war der Gewerbering kein eigenständiger freier Verein, sondern Teil der nationalsozialistischen Parteiorganisation. Er wurde seit Herbst 1932 nur noch mit Parteigenossen weitergeführt und zählte im April 1933 etwa 2.700 Mitglieder in Wien.80 Nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 setzte der Gewerbering seine nunmehr illegale Tätigkeit im Rahmen einer ehemaligen Rechtsschutzvereinigung, im „Kaufmännischen Interessenverband für Handel, Gewerbe und Industrie“, fort. Neben der Zentrale in Wien betrieb diese Tamorganisation noch Geschäftsstellen in Graz, Villach, Innsbruck und Linz. Sie wurde im Mai 1934 behördlich aufgelöst, nachdem bekannt geworden war, daß in ihren Räumlichkeiten Propagandamaterial für die NSDAP hergestellt wurde.81 74 ÖGZ 44 (19. November 1932), S. 2; ebenda 45 (28. Oktober 1933), S. 7; Neues Wiener Tagblatt (31. Dezember 1932). 75 Ö G Z 45 (28. Jänner 1933), S. 3; M att 1: Gewerbeproteste, S. 57. 76 Der Ständebündler. Organ des Österreichischen Ständebundes für Gewerbe und Handel und seiner Landesverbände. Wien 1 (12. Mai 1933), S. 1; M attl: Gewerbeproteste, S. 57. 77 AH GZ 16 (17. März 1934), S. 8; Wiener Neueste Nachrichten 10 (21. März 1934), S. 4. 78 AdR, BKA/Allg., SR, Sign. 15/4, GZ 154.743/1933, Österreichischer Ständebund für Gewerbe und Handel. 79 AdR, Gaupersonalamt des Gaues Wien-Gauakten [GA], ZI. 10.435, Steppi, Rupert. 80 AdR, ParteiA/NS. Parteistellen, Kt. 8, Mappe NS Handels- und Gewerbering Korrespondenz, Schreiben an die Reichsleitung der NSDAP, Hitlerbewegung, Hauptabteilung III, München, vom 22. 10. 1932; eben- d a, Mappe NS Handels- und Gewerbering Monatsberichte, Bericht für April 1933. 81 AdR, BKA/Allg., SR, Sign. 15/4, GZ 186.379/1933, Kaufmännischer Interessenverband; Statutenänderung. 11