Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)

EMINGER, Stefan: Gewerblicher Mittelstand in Österreich Zur Zeit der großen Depression. Organisation, Interessenpolitik und politische Mobilität im Gewerbe 1930–1938

Gewerblicher Mittelstand in Österreich 1930 - 1938 dium und den betont national orientierten alpenländischen Landesverbänden an Schärfe zuzunehmen.13 Ebenfalls auf Pflichtmitgliedschaft beruhten die österreichischen Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie.14 In jedem Bundesland bestand eine eigene Handels­kammer mit je einer Gewerbesektion.15 Niederösterreich war dabei Wien angeglie­dert. Erst 1937 wurde mit der Bundeshandelskammer eine Zentralorganisation ge­schaffen; bis dahin fungierte die Wiener Handelskammer gleichsam als „öster­reichische Handelskammer in Wien“.16 In seiner politischen Ausrichtung zeigte das Gewerbe regionale Besonderheiten. In Niederösterreich und Wien dominierte mit dem unter der Ägide Luegers gegründe­ten „Deutschösterreichischen Gewerbebund“ das christlichsozial orientierte Gewer­be. Mit ca. 40 000 Mitgliedern in 420 Ortsgruppen war der „Deutschösterreichische Gewerbebund“ die größte freie Gewerbeorganisation Österreichs.17 In den österrei­chischen Alpenländem dagegen prägten die „freisinnigen“ Handels- und Gewerbe­bünde („Hagebünde“) die gewerbliche Organisationsstruktur.18 Politisch standen sie zunächst überwiegend der Großdeutschen Volkspartei nahe, in Kärnten auch dem Landbund.19 Ende der Zwanziger Jahre zeigten sie dann ausgeprägte Affinitäten zu den Heimwehren.20 In Wien war das Gewerbe darüber hinaus nach Nation und Kon­fession noch weiter differenziert. So bestanden in der Bundeshauptstadt mehrere tschechische und ein jüdischer Gewerbeverband,21 und auch ein sozialdemokratischer Gewerbeverein hatte in Wien seinen Sitz.22 13 E m i n g e r, Stefan: Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirt­schaftskrise. Wien (Dipl.-Arb.) Wien 1995, S. 11. 14 Fischer: Die gewerblichen Interessensvertretungen, S. 367. 15 Staatsgesetzblatt Nr. 98/1920 (Gesetz vom 25. Februar 1920 über Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie) § 1, (1) und § 4, (1), 16 Geißler, Franz: 125 Jahre Wiener Handelskammer. In: Wirtschaftspolitische Blätter 21 (1974), S. 1- 22, hier S. 4. 17 Deutschösterreichischer Gewerbebund. 1908-1928. Wien (1928), S. 22, 48. 18 Widmann, Anton: Die Gründung des Reichsgewerbebundes. In: Informationsdienst der „Christlich­sozialen Nachrichtenzentrale“ (12. Jänner 1934), S. 10-12, hier S. 11. 19 Wirtschaftskammer Wien [WKW], Registratur, Paket 2616/K, Mappe 3, Berufsständische Ordnung des Gewerbes (Hermann Kandi), Schreiben von Hermann Kandi vom 22. 3. 1934; Alpenländische Handels- und Gewerbe-Zeitung [AHGZ], Organ der Handels- und Gewerbebünde (Hagebünde) von Steiermark, Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Örgan der Landeshauptverbände von Vor­arlberg, Tirol und Oberösterreich. Mitteilungen des Oberösterreichischen Gewerbevereins. Innsbruck 16 (14. Juli 1934), S. 4. 20 AHGZ 12(18. Oktober 1930), S. 1; ebenda 12 (1. November 1930), S. 2. 21 Zur Organisation der tschechischen Gewerbeverbände siehe: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik [AdR], Bundesministerium für Handel und Verkehr/allgemein [BMfHuV/allg.], Signatur [Sign.] 507, Grundzahl [GZ] 122.786/1935, Karton [Kt.] 2747: Schreiben des Verbandes der tschecho­slowakischen Handwerker und Kaufleute in Wien und des Verbandes der tschechoslowakischen Schnei­dermeister und Meisterinnen Oesterreichs in Wien an das BMfHuV vom 25. 6. 1935. Zum jüdischen Ver­band siehe: Die Wahrheit. Jüdische Wochenschrift mit den Veröffentlichungen der „Union deut­schösterreichischer Juden“ und den Amtlichen Verlautbarungen der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Wien 46 (7. Februar 1930), S. 6; ebenda 51 (1. März 1935), S. 7. 22 AdR, Staatsamt des Innem, Signaturenreihe [SR], Sign. 15/4, GZ 21.945/1919, Reichsverein der Gewer­betreibenden und Kaufleute Österreichs; Umbildung. AdR. Bundeskanzleramt/Allgemein [BKA/Alig ], 3

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